Herr der Krähen
„Es ist für Sie.“
„Wer?“
„Das sagt er nicht. Er will mit Ihnen persönlich sprechen und er sagt, es sei dringend.“
Mürrisch griff Tajirika nach dem Hörer. Er ärgerte sich über die Störung.
„Glückwünsche? Wofür? … Heute?“, fragte er. Sein Unmut war wie weggeblasen, als er aufstand, von seinem Stuhl wegging und den Hörer ans Ohr hielt. „Im Radio? … Die Morgennachrichten? … Sind Sie sicher? … Ich glaube, wir sollten besser nicht am Telefon darüber reden … Ja … Ja … Warum kommen Sie nicht her? … Ja … Wir reden darüber.“
Sobald er den Hörer auf die Gabel gelegt hatte, läutete das Telefon erneut. Diesmal nahm er schnell selbst ab.
„Ja … Danke … Kommen Sie ins Büro.“
Es klingelte ein drittes, viertes und fünftes Mal, und er gab immer wieder dieselbe Antwort: „Kommen Sie ins Büro.“ Er schaute zum Fenster, trat hin, pfiff und winkte Nyawĩra zu sich.
Was sie sah, überwältigte sie. Auf der Straße, die zu ihrem Bürokomplex führte, stauten sich die Autos, die neuesten Modelle aller Fabrikate, überwiegend aber die mit dem Stern.
„Was ist denn hier los?“, rief Nyawĩra und schaute Tajirika fragend an.
Gedankenversunken schritt Tajirika im Büro auf und ab. Schließlich blieb er stehen und sagte mit fast zitternder Stimme: „Heute ist einer der größten Tage in meinem Leben, wenn nicht überhaupt der größte. Sie können sich ihn auch als den Tag meiner Wiedergeburt vorstellen. Minister Machokali hat heute Morgen verkündet, er habe empfohlen – und der Herrscher hat dem zugestimmt –, dass ich zum Ersten Vorsitzenden des Baukomitees für Marching to Heaven ernannt werden soll. Verstehen Sie, was das bedeutet? Das können Sie nicht, das sehe ich Ihnen an. Aber die Leute, die dort unten in ihren Autos sitzen, die wissen, was das bedeutet, und sie wissen auch von den finanziellen Konsequenzen, die sich daraus ergeben. Jeder Einzelne da unten möchte mir seine Aufwartung machen – ,meine Bekanntschaft machen‘, werden sie sagen. Und die meisten haben nicht einmal angerufen – sie sind sofort losgefahren. Ich erzähle Ihnen das, weil Sie mir, seit Sie bei mir angefangen haben, nur Glück gebracht haben. Oh, nein, nicht noch so ein Glückwunschanruf! Nein. Lassen Sie das Telefon klingeln. Gehen Sie in Ihr Büro, empfangen Sie die Besucher und bringen Sie sie einzeln in mein Büro. Nehmen Sie die Anrufe entgegen und machen Sie Termine wie immer. This is manna from Heaven“, sagte er, als führte er ein lautes Selbstgespräch.
Nyawĩra eilte hinüber in ihr Zimmer, und Tajirika setzte sich in der Pose eines in Papierkram vertieften leitenden Angestellten an seinen Schreibtisch. Schon kurz darauf war der Empfangsbereich überfüllt, und draußen wartete eine noch größere Menge darauf, vorgelassen zu werden. Das Telefon läutete unaufhörlich. Außerstande, alles gleichzeitig zu bewältigen, fand Nyawĩra schnell eine Lösung. Auf zwei Blatt Papier schrieb sie: BITTE ANSTELLEN. WER SICH NICHT IN DIE SCHLANGE STELLT, WIRD NICHT VORGELASSEN. Einen Zettel befestigte sie an einer Wand im Büro, den anderen draußen.
Die Leute drängelten und schoben, warfen einander Beleidigungen an den Kopf und versuchten, sich möglichst an der Spitze der Schlange einzureihen. Wie die Kinder, dachte Nyawĩra. Und alles nur, um dem Vorsitzenden seine Aufwartung zu machen? Die Würdenträger stammten alle aus Eldares, sie kamen aus verschiedenen Gemeinschaften, gehörten verschiedenen Nationalitäten und unterschiedlichen Rassen an, doch alle einte der Wunsch, Tajirika unter vier Augen zu sprechen. Nyawĩra führte einen nach dem anderen in Tajirikas Büro.
Der erste blieb nur wenige Minuten, sein Anliegen musste aber zu seiner Zufriedenheit behandelt worden sein, denn er strahlte, als er wieder herauskam. Dasselbe geschah beim zweiten, dritten, vierten, fünften und so weiter. Ein paar Minuten beim Vorsitzenden und alle schienen sich eines kleinen Glücks zu erfreuen, wenn sie zu ihrem Mercedes zurückgingen. Tajirika vermittelte allen Besuchern ein Glücksgefühl! Wie war das möglich?, wunderte sich Nyawĩra.
Nyawĩra, die Besucher in Tajirikas Büro geführt, Namen festgehalten, Akten geordnet und Telefonanrufe entgegengenommen hatte, fand bald heraus, was da vor sich ging. Jeder bot seine Dienste als Subunternehmer für Marching to Heaven an und hoffte darauf, berücksichtigt zu werden. Ob sie anboten, Zement, Holz, Nägel, Toilettenpapier, Nahrungsmittel
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