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Herr der Krähen

Herr der Krähen

Titel: Herr der Krähen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ngugi wa Thiong
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in ihrem Büro aufkreuzen und sie fragen, warum sie ihn versetzt hatte. Es beruhigte ihn, eine Ausrede zu haben, um Nyawĩra an ihrem Arbeitsplatz aufzusuchen und Tajirikas Besitz in Augenschein zu nehmen.
    In diesem Augenblick berührte ihn jemand an der Schulter. Weil er dachte, es wäre Nyawĩra, drehte er sich um. Sein strahlendes Gesicht verdüsterte sich, als er sah, dass es nur wieder einer dieser Bettler war. Dass der Mann offensichtlich ein Krüppel war, irritierte ihn noch mehr. Als der aber den Spruch aufsagte: „Helft einem Armen, diese Beine wurden im Unabhängigkeitskrieg gebrochen!“, verlor Kaniũrũ die Geduld. Er stieß den Krüppel weg und brüllte ihn an: „Verschwinde! Wie kannst du es wagen, mich mit deinen schmierigen Fingern anzufassen!“ Er schrie den Bettler so laut an, dass Gautama durch dieses Geschrei aus seinen Weltallträumen gerissen wurde und zugunsten des Eindringlings eingriff. Gautama drückte ihm ein paar Münzen in die Hand, bat ihn, seine Gäste nicht zu stören und schob ihn zur Tür hinaus.
    „Ich möchte eine Tasse Tee und ein Stück Kuchen“, rief Nyawĩra Gautama zu, als sie hereinkam und sich zu Kaniũrũ an den Tisch setzte. „Warum wolltest du dich mit mir treffen?“, fragte sie barsch.
    „Ich bin zufällig vorbeigekommen und dachte mir, ich schau mal bei dir rein“, antwortete Kaniũrũ und merkte an ihrem Gesichtsausdruck, dass sie ihm nicht glaubte. „Du arbeitest also da?“
    „Hab ich dir nicht gesagt, dass du mich in Ruhe lassen sollst?“
    „Ja, aber wir müssen doch nicht gleich Feinde sein.“
    „Auf deine Freundschaft kann ich verzichten.“
    „Ich habe nicht gesagt, dass wir Freunde sein müssen.“
    „Hör zu, ich habe keine Zeit für Wortklaubereien.“
    „Ich auch nicht. Ich wollte nur sagen, dass, selbst wenn Menschen unterschiedliche Wege gehen, sie nicht aneinander vorbeigehen müssen, ohne sich wenigstens zuzuwinken.“
    „Was willst du?“
    „Ich will nur, dass du weißt, dass ich dich immer noch liebe.“
    „Du verschwendest deine Zeit und meine auch, wenn du versuchst, hier etwas zu kitten. Wenn du noch mal damit anfängst, gehe ich auf der Stelle.“
    „Worüber soll ich denn sonst mit dir reden?“
    „Ich habe dich nicht eingeladen. Warum jubelst du mir nicht etwas vor, wie toll es ist, zur Jugendbrigade Seiner Königlichen Allmächtigkeit zu gehören?“, antwortete Nyawĩra mit kaum verhohlenem Sarkasmus.
    „Du hast ja recht, wenn du einige Stützen der Partei mit kritischen Augen siehst. Es sind Heuchler, die nur darauf aus sind, unser Land zu ruinieren und in Misskredit zu bringen, vor allem die, die sich so vehement für Marching to Heaven einsetzen! Das Urteil darüber wurde schon vor langer Zeit gefällt, als die Kinder Israels sich am Turm zu Babel versuchten!“
    „Den Gerüchten nach warst du es aber, der den Plan entworfen hat, oder vielmehr die künstlerische Darstellung. Warum diese ablehnende Haltung deinem Baby gegenüber?“
    Er versuchte, nicht zusammenzuzucken, als er sich die Demütigung vergegenwärtigte, die er bei der Geburtstagsfeier erlitten hatte und die jetzt von der Frau erneuert wurde, die er mit seinen Verbindungen zu Macht und Privilegien beeindrucken wollte. Er schwieg und dachte an den Ursprung dieses Fiaskos.
    Es hatte alles damit angefangen, dass Machokali einen Vortrag am Polytechnikum hielt, an dem Kaniũrũ unterrichtete. Als er erfuhr, dass es dort eine Kunstfakultät gab, hatte sich der Minister laut gefragt, ob man deren Studenten wohl zutrauen könnte, der leblosen Zeichnung eines Architekten Leben einzuhauchen. „Wenn Sie das können, dann sprechen Sie in meinem Büro vor“, hatte er gesagt, nichts weiter. Die Einladung war so vage, dass viele sie ganz richtig als eine der üblichen rhetorischen Aufforderungen nahmen, die Politiker manchmal von sich gaben. Als Kaniũrũ einige Tage später zu ihm ins Büro kam und kurz erklärte, dass es machbar sei und er seine Dienste anbieten wolle, erinnerte sich der Minister schon nicht mehr daran. Machokali brauchte eine Weile, um zu begreifen, wovon der Mann redete, bis ihn Kaniũrũ an seinen Besuch im Polytechnikum erinnerte. „Oh, darum geht es“, sagte der Minister. „Sie behaupten, sich eine zweidimensionale Zeichnung ansehen und einen bildhaften dreidimensionalen Entwurf davon schaffen zu können? Sie wissen schon, in den realen Farben des Lebens und so?“
    „Es ist nicht einfach, aber es lässt sich machen.“ Natürlich nicht

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