Herr der Krähen
sie ihn.
„Trinken wir im Mars Café einen Kaffee“, schlug er vor.
„Ich mag keinen Kaffee“, antwortete sie.
„Dann nimmst du eben einen Tee, einen Milchshake, Soda, irgendwas. Ich habe Neuigkeiten.“
„Ich kann selber Zeitung lesen. Und ich höre Radio.“
„Das sind keine gewöhnlichen Neuigkeiten. Das ist etwas, was du unbedingt wissen musst.“
Nyawĩra dachte kurz darüber nach, obwohl sie sich bemühte, so desinteressiert wie möglich zu wirken. Sie gähnte und seufzte, als gäbe sie seinem Drängen nur widerstrebend nach.
„Okay, ich bin gleich zurück“, sagte sie schließlich. „Oder besser, wir sehen uns im Mars.“
Sie ging mit dem alten Aushang ins Büro zurück, um ihn im Lagerraum zu verstauen.
Die Tür war abgeschlossen. Sie zog den Schlüssel aus einer ihrer Taschen, öffnete und erstarrte. Sprachlos stand sie da und schaute in eine Gewehrmündung. Sie schloss die Augen und rechnete mit dem Schlimmsten.
„Oh, Sie sind’s?“, sagte Tajirika und ließ die Waffe sinken. „Ich habe gedacht, da versucht jemand einzubrechen. Hatte ich Ihnen nicht gesagt, Sie sollen heimgehen?“
„Meine Handtasche“, antwortete sie mit bebender Stimme. „Ich habe gerade das neue Schild angebracht“, fügte sie benommen hinzu und zeigte auf das alte. „Ich wollte nur noch meine Handtasche holen.“
„Gut. Dann helfen Sie mir doch mal, die Sisalsäcke zum Auto zu bringen.“
Die Säcke waren schwer und bis zum Rand mit Burĩ-Scheinen gefüllt. Tajirika schleppte zwei, Nyawĩra einen zum Kofferraum seines cremefarbenen Mercedes.
Sie sah dem Wagen hinterher, der sich in den Verkehr einordnete und schließlich verschwand. Dann wurde ihr schlagartig bewusst, was hätte geschehen können. Mit weichen Knien setzte sie sich, um sich zu sammeln. Dann ging sie zu Kaniũrũ ins Mars Café.
14
Das Mars Café war in ganz Eldares bekannt, weil es zu moderaten Preisen ein hochwertiges Angebot an Tee, Kaffee, Kakao, Milchshakes, Eis, Brot, Kuchen, Sandwiches und alkoholfreien Getränken führte. Für viele war es ein beliebter Treffpunkt, weil es seinem Besitzer Gautama nichts auszumachen schien, wenn seine Kunden noch stundenlang sitzen blieben und sich unterhielten, nachdem sie das Bestellte konsumiert hatten. Wahrscheinlich aber war das Café vor allem wegen seines Wandschmucks bekannt, der die Erforschung des Weltraums feierte, und wegen Gautamas hingebungsvoller Begeisterung dafür.
Im Laufe der Jahre hatte das Café, den bedeutenden Ereignissen der Raumfahrt Rechnung tragend, mehrmals den Namen gewechselt. Es hatte Café Sputnik geheißen, dann Wostok und Apollo. Gautama mochte den Namen Apollo am liebsten, weil er über die Mondmission hinaus nicht nur einen Bezug zu dem griechischen Gott herstellte, sondern auch an Marco Polo erinnerte, der den Orient bereist hatte, in dessen Volksmythen die ersten Raumschiffe aufgetaucht waren. Zum Beweis für den asiatischen Ursprung des Wettlaufs um das All zitierte er häufig frühe chinesische Astronomen, die sich als Erste mit einer Supernova befassten. Als Nächstes taufte er es Mir Café und dann International Space Station Café, bevor sich Gautama auf Mars Café festlegte und versprach, diesen Namen beizubehalten, bis die ersten Menschen auf dem Mars landeten. Er war überzeugt, dass der Rote Planet die Geheimnisse über den Ursprung des Lebens und des Universums barg. Der Name des Cafés sollte die ewige Suche des Menschen nach Wahrheit, Freiheit und Wissen zum Ausdruck bringen. Deshalb waren die Wände mit Ausschnitten aus Zeitungen und Zeitschriften tapeziert, auf denen nicht nur Raketen, andere Raumflugkörper und Raumstationen zu sehen waren, sondern auch Weltraumreisende. Hier fanden sich Juri Gagarin und Alexej Leonow Seite an Seite mit Neil Armstrong und John Glenn neben anderen wieder.
Obwohl Gautama stets einen verträumten Gesichtsausdruck bekam, wenn er über das Weltall redete, verhielt er sich seinen Gästen gegenüber sehr bodenständig und aufmerksam. Jetzt beobachtete er, wie Kaniũrũ allein das Café betrat, und hoffte, ihn in einen kleinen Schwatz über das Universum verwickeln zu können. Als Kaniũrũ ihm aber sagte, er wolle mit seiner Bestellung noch warten, bis sein Gast eingetroffen sei, zog sich Gautama zurück und nahm seine Gedankenwanderung wieder auf. Kaniũrũ sah unablässig auf die Uhr und fragte sich, ob Nyawĩra ihn ein weiteres Mal versetzte. Ein paar Minuten wollte er noch warten. Dann würde er am nächsten Tag
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