Herr der Krähen
dir mal die Katastrophe vor, wenn einer wie Machokali das Land führen würde! Und bei den Jugendbrigaden des Herrschers mitzumachen, ist kein Partisanenakt, sondern patriotische Pflicht. Es haben sich sogar Professoren und Promovierte eingeschrieben. Jetzt brauchen wir Mädchen wie dich. Für die Mädchenbewegung.“
„Ich bin eine erwachsene Frau. Und geschieden.“
„Ich wollte dir nur klarmachen, dass es in der Herrscherjugend keine Diskriminierung wegen des Geschlechts oder des Alters gibt. Einige unserer besten Mitglieder sind Frauen. Einige Professoren sind schon über fünfzig. Sikiokuu selbst ist der Führer der Jugendbrigaden, er ist ein echter Mann des Volkes. Sein Ziel ist es, die Jugend glücklich zu machen. Er möchte, dass sich Frauen wie du …“
„Geh zu deinem Sikiokuu mit den Hasenohren und sag ihm, dass Nyawĩra sich nicht vor irgendwelchen politischen Anführern verneigt.“
„Was ist der Unterschied? Du arbeitest für Tajirika, einen loyalen Anhänger Machokalis.“
„Stimmt, aber er hat mich nicht als politische Aktivistin eingestellt. Ich bin eine ganz normale Angestellte mit einer ganz normalen Arbeit.“
„Und was ist an der unübersehbaren Schlange, die sich im Moment vor eurem Büro bildet, so normal?“
„Hast du mir nicht gerade erzählt, du seist zufällig vorbeigekommen? Bist du den ganzen Tag hier gewesen? Und abgesehen davon: Wann fliegst du nach London, um dir die Nase vergrößern zu lassen?“, fragte Nyawĩra und musste lachen, als sie sich vorstellte, wie seine Nase aussähe, wenn sie größer wäre. „Machokali hat sich die Augen vergrößern lassen, bei Sikiokuu sind es die Ohren, und bei Big Ben Mambo der Mund oder vielmehr die Zunge. Wer könnte besser als du die Feinde Seiner Königlichen Allmächtigkeit ausschnüffeln?“
„Nyawĩra, hör mir zu: Es stimmt. Ich komme hier ab und zu vorbei. Aber nicht wegen Tajirika. Und heute haben mich weder Tajirika noch sein Geschäft hierhergeführt. Es war die Stimme meines Herzens – geh nicht, bitte. Bleib und hör mich an. Du weißt ja nicht einmal, was ich dir sagen will. Ich will dich. Es fällt mir schwer, ja, ich kann mich nicht von dir fernhalten. Ich werde auch nicht in dein Privatleben eindringen, selbst wenn ich wüsste, wo du wohnst. Aber ich habe das Recht, mich in der Öffentlichkeit frei zu bewegen. Gestern bin ich diese Straße entlanggekommen und habe gesehen, wie du dich angeregt mit einem Mann unterhalten hast.“
„Darf ich nicht reden, mit wem ich will?“
„Aber genau darum geht es ja! Der Mann, mit dem du dich unterhalten hast, ist kein gewöhnlicher Mensch.“
„Wie interessant.“
„Bitte, hör mir zu und urteile dann. Ihr habt beide nicht weit von der Stelle gesessen, an der du heute das Schild ausgetauscht hast. Nachdem ihr euch verabschiedet habt, wollte ich dir eigentlich folgen, nur um Hallo zu sagen, aber irgendetwas an dem Mann ließ mich ihn weiter beobachten. Er blieb lange dort sitzen, als würde er auf jemand warten oder wüsste nicht wohin. Schließlich ging er die Straße hinunter, und ich folgte ihm. In Santamaria blieb er plötzlich stehen und lehnte sich an eine Wand, als hätte er sich verlaufen. Doch kurz darauf ging er weiter, bis er den Ruler’s Square in der Nähe vom Paradise erreichte. Und weißt du, was er dann gemacht hat? Er betrat eine öffentliche Toilette …“
Nyawĩra konnte nicht anders, sie musste laut lachen. Er redete so todernst. Was war so seltsam an Leuten, die auf eine öffentliche Toilette gingen? Doch dann fiel ihr ein, wie schrecklich schmutzig die waren, und sie wollte seinen Bedenken beinahe zustimmen.
„Lach, so viel du willst, aber ich versichere dir, die Sache ist überhaupt nicht zum Lachen. Ich habe mit eigenen Augen gesehen, wie er in die Toilette gegangen ist; ich habe am Eingang Wache gehalten. Herausgekommen ist aber nur ein zerlumpter Bettler. Er aber nicht. Ich verheimliche dir nichts, ich sage dir nur die Wahrheit. Später musste ich mal und ging hinein, um zu sehen, was da drin vor sich ging. Da war niemand, nicht eine Menschenseele. Der Mann hatte sich in Luft aufgelöst.“
„Ein Außerirdischer. Ist jetzt wieder auf dem Mars“, kommentierte sie und versuchte, die Sache herunterzuspielen.
„Das ist kein Spaß. Wie gut kennst du diesen Mann?“
„Nicht besonders“, gab sie zur Antwort und gähnte, als langweilte Kaniũrũ sie. „Aber vielleicht sollte ich sagen, wenn derjenige, über den du sprichst, derselbe ist
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