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Herr der Krähen

Herr der Krähen

Titel: Herr der Krähen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ngugi wa Thiong
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seine Sorgen waren unnötig. Als ihm klar wurde, was er da sah, schrie er unfreiwillig auf. Allein in der letzten Stunde hatte es in Aburĩria nicht weniger als zehn Unfälle gegeben, in die matatus verwickelt waren, drei davon in Eldares. Einer war ein Frontalzusammenstoß mit einem Polizeifahrzeug gewesen, bei dem fünfzehn Menschen starben, unter ihnen drei Polizisten.
    Der anfängliche Schock wich schnell dem unwiderstehlichen Verlangen herauszufinden, ob sein Feind unter den tödlich Verunglückten war. Wie ein Besessener blätterte er das TPB durch. Seine Kollegen beäugten ihn misstrauisch. A.G. aber bemerkte den Ausdruck auf ihren Gesichtern nicht, er war völlig in das Protokoll vertieft.
    Er brauchte die Namen der tödlich Verunglückten, aber die Angaben waren dürftig. Dann wurde ihm bewusst, weder den Namen noch die körperlichen Eigenschaften seines Feindes zu kennen. Es zählte jedoch allein, dass sein Feind, wer immer er auch war, wie der Herr der Krähen es vorhergesagt hatte, ausgelöscht war und zu den fünfzehn Leichnamen gehörte.
    Die Weissagung war in Erfüllung gegangen. Seine Feinde existierten nicht mehr. Jetzt wartete er ab, ob sein Leben einen anderen Verlauf nehmen würde. Vorwärts, natürlich, und niemals zurück, sang es in seinem Herzen.

16
    Als Nyawĩra nach Hause kam, fiel ihr auf, wie sauber es war. Kamĩtĩ hatte alle Spinnweben beseitigt, Wände und Fußböden gewischt, die Küche geputzt und das Bett frisch bezogen. Und er hatte die Bettbezüge gewaschen, getrocknet und gebügelt. Nach den Nervenproben im Büro und im Mars Café war sie völlig erschöpft, doch jetzt fühlte sie sich von Wärme und Sauberkeit umfangen.
    Kamĩtĩ hatte sogar eine Soße aus Tomaten und Spinat gekocht, und das Einzige, was jetzt noch zum Abendessen fehlte, war ugali . In all den Monaten, die sie mit Kaniũrũ zusammenlebte, hatte der nie einen Finger gerührt. Selbst wenn sie nach einem langen Arbeitstag zur selben Zeit nach Hause kamen, setzte sich Kaniũrũ hin und erwartete, dass Nyawĩra kochte, ihn bediente und hinterher abwusch.
    „Ich werde dir einen neuen Namen geben“, sagte Nyawĩra, als sie ihre Handtasche auf den Tisch legte und sich einen Stuhl heranzog. „Von jetzt an bist du der Herr der Sauberkeit.“
    „Sag einfach Kamĩtĩ, Sohn des Karĩmĩri, zu mir. Tee?“
    „Dazu sag ich nicht nein“, lachte Nyawĩra glücklich.
    Kamĩtĩ ging in die Küche und stellte einen Topf Wasser aufs Gas. Nyawĩra stand auf und lehnte sich in den Rahmen der Küchentür.
    „Du bringst mich ja bei den Nachbarn ins Gerede“, lachte sie.
    „Wieso?“
    „Weil der Gast für den Gastgeber kochen muss.“
    „Was hat Mwalimu Nyerere aus Tansania gesagt? ‚Sei zwei Tage lang Gast …‘“, setzte Kamĩtĩ an.
    „,… und am dritten nimm eine Hacke, um zu arbeiten‘“, vervollständigte Nyawĩra. „Aber das stammt nicht von Nyerere. Das ist ein verbreitetes Swahili-Sprichwort.“
    Das Wasser kochte. Kamĩtĩ ging zum Geschirrschrank, um nach Teeblättern zu suchen, aber Nyawĩra war schneller.
    „Ich bin ja richtig faul. Lass mich das mal machen“, meinte sie und holte ein Päckchen Tee heraus.
    „Nein, ich mache den Tee“, widersprach Kamĩtĩ und nahm ihr das Päckchen aus der Hand. „Wie möchtest du deinen Tee? Englisch oder aburĩrisch?“
    „Aburĩrisch bitte.“
    Kamĩtĩ schüttete die Teeblätter in das kochende Wasser, goss etwas Milch dazu und ließ das Ganze aufkochen. Den Topf beobachtend fragte er: „Hast du eigentlich gewusst, dass wir diese Art, Tee zu kochen, von den Indern übernommen haben?“
    „Ich dachte, dass die sich das von schwarzen Aburĩriern abgeguckt haben.“
    „Nein, es war genau anders herum. Tee kommt ursprünglich aus Indien, China und Japan. Die Engländer haben das Teetrinken bei den Indern gelernt, wahrscheinlich in Madras, ihrer ersten Hauptstadt in der Kolonie. Aber die Zubereitung ist in jedem Land anders. In Japan gibt es ziemlich aufwendige Teezeremonien.“
    „Bist du auch in China und Japan gewesen?“
    „Nein, das habe ich aus zweiter Hand. Vor allem aus Briefen von einem Freund an der Universität Kyoto in Japan. Er wohnt jetzt auf Shikoku, der Insel der achtundachtzig Tempel. Erfahrungen aus erster Hand habe ich nur aus Indien, vor allem aus Madras. Einmal sind ein paar Freunde mit mir von Hyderabad nach Warangal gefahren. Wir haben mehrmals angehalten, um Tee zu trinken, und ich kann dir versichern, dass die Ähnlichkeiten

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