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Herr der Krähen

Herr der Krähen

Titel: Herr der Krähen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ngugi wa Thiong
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…“
    „Hey! Pass auf, der Tee kocht gleich über“, rief Nyawĩra und bewegte sich schnell in Richtung Gasherd. Kamĩtĩ kam ihr aber zuvor und drehte den Hahn zu.
    „Einem Mann in der Küche kann ich nicht hundertprozentig trauen“, sagte Nyawĩra, als sie sich an den Tisch setzten. „Aber er schmeckt gut.“
    Sie lobte seine haushälterischen Talente, und beide lachten. Dann wurde Kamĩtĩ ernst.
    „Willst du die Wahrheit wissen? Eigentlich wollte ich vor allem den Gestank beseitigen, den der Polizist im Haus verbreitetet hat.“
    „Constable Arigaigai Gathere? Er ist tatsächlich noch mal wiedergekommen?“, fragte sie und richtete sich interessiert auf. „War er so zaubereibedürftig?“
    „Ehrlich gesagt hätte ich auch nicht erwartet, dass er noch einmal herkommt“, sagte Kamĩtĩ. „Er kam zurück, als ich gerade aus dem Haus gehen wollte, um mich nach Arbeit umzusehen. Ich erkannte ihn von Weitem und ging wieder hinein. Ich ließ die Tür offen und entschied rasch, dass die Küche mein Schrein und das Wohnzimmer der Warteraum sein sollten. Reden würden wir durch das kleine Fenster zwischen Schrein und Wartezimmer.“
    Kamĩtĩ erzählte die ganze Geschichte einschließlich seiner Warnung an Constable Arigaigai Gathere, nie wieder Bettler und Zauberheiler zu belästigen.
    „Und was, wenn sich seine Lage nicht ändert?“
    „Die begann sich schon zu ändern, bevor er wegging.“
    „Wie das?“
    „Dieses endlose Misstrauen, mit dem er sich selbst belastet hat, war verschwunden.“
    „Und was ist, wenn er nicht befördert wird?“
    „Dann wird er wieder hier vor der Tür stehen.“
    „Und sein Geld zurückhaben wollen?“
    „Nein. Er wird noch mehr Geld herbringen, um herauszufinden, warum die ersten Weissagungen nicht gewirkt haben. Die Frage ist nur, ob ich mit diesem Geschäft weitermachen kann.“
    „Warum denn nicht? Du brauchst nur ein paar Muscheln, Knochen, Sodom-Äpfel, Sackleinen und einen Hocker, dann bist du perfekt ausgerüstet. Oder noch besser: Warum gründest du keine NGO ?“
    „Eine NGO ? Der Hexerei?“
    „Ja. Und der Wahrsagerei. Des Zauberheilens. Und du wirst zum Berater für alle Dinge, die mit Magie zu tun haben“, fuhr Nyawĩra fort und musste selbst über ihren Vorschlag lachen.
    „Ein Beratungszauberer? Ich könnte mir auch gleich eine Visitenkarte zulegen: Herr der Krähen. Wahrsagende Kräfte. Spezialgebiet Zukunft, Heilung und magische Läuterung“, ergänzte Kamĩtĩ. „Ja, alles, was mit Magie zu tun hat. Mir fällt kein anderes Geschäft ein, das bei so geringem Aufwand einen derart großen Gewinn abwerfen könnte. Nur: Der Geruch!“, fügte er in verändertem Tonfall hinzu.
    „Der Geruch? Von welchem Geruch redest du? Stimmt, du hattest ja sauber gemacht, um den Geruch des Polizisten zu beseitigen. Aber schlimmer als der Müllgeruch auf den Straßen kann er kaum gewesen sein“, meinte Nyawĩra.
    „Ich weiß nicht, was es ist“, murmelte er nachdenklich, als würde er mit sich selbst sprechen. „Ich kann es nicht erklären, aber dieser Geruch ist übler als der von faulendem Abfall, einem ranzigen Rülpser und einem reifen Furz zusammengenommen. Manchmal, wenn ich durch die Straßen gehe, kann ich ihn unter allen anderen Gerüchen, die in der Luft hängen, erkennen und oft treffe ich Leute oder stehe vor Gebäuden, an denen dieser Gestank stärker haftet als an anderen. Genauso häufig begegne ich aber auch Menschen, deren frischer Duft diesen faulen Gestank zu vertreiben scheint. Der frische Duft und der faule Gestank streiten offensichtlich, wer mir in die Nase steigen darf, als würden böse und gute Geister um die Herrschaft über die Seele kämpfen. Heute war es so, als du weggegangen bist und der Polizist auftauchte. Wie soll ich es dir erklären?
    Bestimmt hast du schon mal ein offenes Feld nach einem Regenguss erlebt, auf das die Sonne scheint. Wie die Regentropfen so schön wie silberne Perlen an Blättern und Blüten hängen, bevor sie nach unten gleiten. Manchmal steigen Dunstschwaden vom Boden in den Himmel, als würden sie einer Gottheit ein Opfer darbringen. Wenn du so etwas siehst, hast du das Gefühl, in einer Wärme zu baden, die eine bevorstehende Geburt ankündigt. Nyawĩra, wenn du bei mir bist, fühle ich mich geborgen in der Frische von Feldern und Wiesen, auf denen Blumen wachsen und Bienen und Schmetterlinge herumflattern, um den Nektar zu sammeln und daraus den Honig des Lebens zu machen. Das ist die Atmosphäre, die du

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