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Herr der Krähen

Herr der Krähen

Titel: Herr der Krähen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ngugi wa Thiong
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zurückgelassen hast, als du heute Morgen aus dem Haus gegangen bist.
    Aber dann tauchte Constable Arigaigai Gathere auf. Das ganze Haus stank, als er hier war. Und der schwere Geruch hing noch in der Luft, nachdem er schon weg war. Das hat mich in diesen Putzwahn getrieben.“
    Was auch immer er an diesem Morgen unternahm, der Gestank wollte nicht weichen. Vielleicht moderte irgendwo im Haus eine tote Ratte vor sich hin? Er suchte unter dem Bett, den Stühlen, ja, er kehrte das Unterste nach oben, aber vergeblich. Erschöpft und frustriert setzte er sich an den Wohnzimmertisch. Plötzlich erkannte er den Ursprung des faulen Gestanks: das Geld des Polizisten. Sofort stopfte Kamĩtĩ die Geldscheine in eine Plastiktüte, steckte sie in eine leere Kakaodose und schloss den Deckel. Er schaufelte ein Loch hinter dem Haus und vergrub sie.
    „Der Geruch ließ zwar nach, aber er war immer noch da“, erzählte er Nyawĩra. „Erst, als du ins Haus gekommen bist, ist er verschwunden, ein frischer Blumenduft hat ihn verdrängt.“
    Nyawĩra wollte lachen und etwas Unbeschwertes sagen, hielt sich aber zurück, als sie sah, wie ernst Kamĩtĩ war.
    „Im Augenblick komme ich mir nicht gerade vor, als würde ich wie eine Blume duften“, sagte sie, „schon gar nicht wie eine frische Blume nach dem Regen. Trotzdem Danke. Ich mag Blumen.“
    „Dasselbe ist passiert, als ich gestern in dein Büro kam. Ich atmete frischen Blumenduft. Er kam von der Stelle, an der du gesessen hast. Aber als Tajirika aus dem Büro nebenan kam, stieg mir Gestank in die Nase, wie von …“
    „… einer Leiche?“, fragte Nyawĩra.
    „… von einem faulenden Herzen, einer faulenden Seele, aber wie kann man eine Seele riechen? Manchmal riechen Gebäude so, und jetzt das Geld, das der Polizist zurückgelassen hat. Aber Geld und Gebäude haben keine Seelen.“
    „Weißt du“, sagte Nyawĩra, „wenn du nur von Tajirika gesprochen hättest, hätte ich geantwortet, ja, ich weiß, was du meinst. An dem ist alles verfault. Hast du seine rechte Hand gesehen? Sie steckt immer in einem Handschuh. Warum? Weil er mit dieser die Hand des Herrschers geschüttelt hat und die Berührung der Macht erhalten will. Weder Hand noch Handschuh werden jemals gewaschen. Alles, was er anfasst, stinkt. Manchmal frage ich mich, was wohl seine Frau Vinjinia von seiner Hand im Handschuh hält. Die Fäulnis steckt aber nicht nur in seiner Hand. Geld hat seine Seele völlig krank gemacht. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie viel er heute eingenommen hat. Und alles nur, weil er zum Vorsitzenden des Baukomitees für Marching to Heaven ernannt worden ist.“
    „Was? Wie?“, fragte Kamĩtĩ. „Wo gibt es denn einen Zusammenhang zwischen der Ernennung zum Vorsitzenden von Marching to Heaven und dem Einnehmen von Geld?“
    Jetzt war sie dran, Kamĩtĩ von den Ereignissen ihres Tages zu berichten. Sie erzählte ihm alles, nur nichts von ihrer Begegnung mit Kaniũrũ im Mars Café. Sie wollte ihn nicht damit belasten, verfolgt zu werden. Fast triumphierend aber berichtete sie ihm von den Anschlagschildern.
    „Wir haben das alte Schild abgenommen. Wenn du morgen vorbeikommst, könntest du einen Job als mein Assistent bekommen.“
    „Bei diesem Typen arbeiten? Lieber mache ich einen Laden als Zauberheiler auf.“
    „Was hast du morgen vor?“, fragte Nyawĩra.
    „Keine Ahnung. Ich will heute Nacht wieder hinaus in die Wildnis. Ich bin nur geblieben, weil ich dir erzählen wollte, dass der Polizist wieder da war, und was heute in deinem Haus passiert ist.“
    „Und das Geld?“
    „Das werde ich draußen in der Prärie beerdigen. Die Erde soll meine Bank sein.“
    „Du meinst, du pflanzt es ein?“, setzte Nyawĩra hinzu, weil ihr der Gedanke, das Geld zu vergraben, absurd vorkam. „Du willst es pflanzen, wie ein Bauer den Samen aussät, damit er ernten kann? Nun, ich kann nur sagen, gib mir Bescheid, wenn dein Geldbaum reif zur Ernte ist.“ Sie stand auf. „Aber lass uns erst was essen, bevor du deine Reise in die Wildnis antrittst.“
    Nyawĩra kochte ugali . Sie tunkten die Bällchen in die Soße, die Kamĩtĩ zubereitet hatte, und aßen schweigend ihre letzte gemeinsame Mahlzeit. Jeder hing seinen Gedanken nach. Beide hatten gemischte Gefühle bezüglich ihrer Begegnung und des bevorstehenden Abschieds. Sie hatten das Gefühl, sich schon ewig zu kennen, und waren sich gleichzeitig fremd. Die gemeinsamen Erlebnisse der vergangenen Nacht kamen ihnen jetzt vor wie aus

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