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Herr der Krähen

Herr der Krähen

Titel: Herr der Krähen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ngugi wa Thiong
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einer anderen Zeit, als hätten sich diese weit entfernt in einem anderen Land und mit anderen Menschen zugetragen. Und obwohl sie lachten und sich gegenseitig aufzogen, fühlten sie sich etwas unbeholfen und verlegen.
    „Und wenn du von hier weggehst“, brach Nyawĩra das Schweigen, „wo und wie sollen dich deine Klienten finden?“
    „Wer sagt denn, dass ich vorhabe, mit diesem Hexenkram weiterzumachen?“, fragte Kamĩtĩ etwas verunsichert von der Frage. Er war kein Zauberdoktor. Er war nur ein Phantasie-Herr-der-Krähen.
    Nyawĩra wollte gerade antworten, als sie auf die Uhr schaute und aufschreckte, als wäre ihr eine wichtige Verabredung eingefallen. Sie sprang auf und griff hastig nach ihrer Handtasche.
    „Ich muss weg. Zieh heute noch nicht in die Wildnis, bleib noch einen Tag mein Gast. Ich bin nur ein paar Stunden weg. Aber warte nicht auf mich. Schlaf auf dem Sofa, wie letzte Nacht. Bitte mach niemandem auf. Ich habe keine Freunde oder Verwandte, die mich hier besuchen kommen, nicht einmal tagsüber.“
    Sie wartete seine Antwort nicht ab und ging.
    Wer ist diese Frau? Verstört setzte sich Kamĩtĩ aufs Sofa. Wo geht sie hin? Mit wem trifft sie sich? Aber schon kurz darauf hing er wieder seinen Gedanken und eigenen Sorgen nach.
    Er war froh, dass Nyawĩra ihm noch einmal das Sofa angeboten hatte. Nur was geschah gerade mit ihm? Gestern Morgen war ich auf Arbeitssuche und mittags eine Leiche, ein Stück Müll, das unter anderem Abfall verscharrt werden sollte. Am Nachmittag war ich Opfer von Tajirikas zynischer Selbstbelustigung und abends ein Bettler von vielen vor den Toren des Paradise. Nachts auf der Flucht wurde ich von der Polizei Seiner Allmächtigkeit verfolgt und heute Morgen war ich der Herr der Krähen, der einem Polizisten Seiner Allmächtigkeit prophezeite. Heute Abend aber bin ich Wächter im Haus einer geheimnisvollen Frau, die ich erst gestern kennengelernt habe.
    Über diesen Gedanken schlief er ein. Nyawĩra schüttelte ihn am nächsten Morgen aus seiner Benommenheit und bot ihm Tee und Brot zum Frühstück.
    „Du willst mir doch nicht sagen, dass wir schon wieder einen neuen Tag haben?“
    „Doch, der Tag bricht an und es strahlt das Licht des neuen Morgens“, sang sie.
    „Wann bist du heimgekommen?“, fragte er. „Ich habe dich nicht gehört.“
    „Früh am Morgen“, antwortete sie, verlor aber kein Wort darüber, wo sie gewesen war und was sie gemacht hatte. Er beschloss, nicht weiter nachzubohren.
    Bevor sie mit dem Frühstück fertig waren, klopfte es an der Tür. Nyawĩra machte auf und stand Constable Arigaigai Gathere gegenüber. Kamĩtĩ versteckte sich schnell. Nyawĩras erschrockener Gesichtsausdruck schlug in Verwunderung um, als Constable Arigaigai Gathere auf die Knie sank und den Kopf vor ihr neigte.
    „Mein verehrter Herr der Krähen, Sie sollen es als Erster wissen. Ich bin so glücklich und weiß gar nicht, wie ich Ihnen danken soll.“
    „Was ist geschehen?“, hakte Nyawĩra nach, als wäre sie der Herr der Krähen.

17
    Was war geschehen? Diese Worte kamen jedes Mal von seinen Zuhörern, wenn A.G. an diesem Punkt der Geschichte anlangte. Aber A.G. ließ sich nicht antreiben: Es war seine Geschichte und er erzählte sie auf seine Weise, er entfaltete die Ereignisse, statt sie in einem Satz zusammenzufassen. Geschichten verlieren wie Essen den Geschmack, wenn man sie unter Eile auf zu großer Flamme kocht.
    „Wie konntest du vor einem gewöhnlichen Menschen in die Knie gehen?“, wollte jemand wissen.
    „Ein Mensch? Der Herr der Krähen ist mehr als ein Mensch. Wenn du in meiner Lage gewesen wärst, hättest du dasselbe getan.“
    „Warum?“
    „Weil er mein Leben verändert hat“, antwortete A.G. und machte eine Pause.
    Als er bemerkte, dass sie ihm aufmerksam lauschten, erzählte A.G. , wie er sich am Tag nach der Erfüllung der Weissagung des matatu -Unfalls zum Dienst gemeldet hatte. Er wollte vor allen anderen an seinem Arbeitsplatz sein, vor allem vor seinem Chef, um sein Zuspätkommen vom vorigen Tag wiedergutzumachen. Zu seiner Überraschung wartete Inspector Wonderful Tumbo bereits ungeduldig auf ihn. „Gehen wir rüber in mein Büro“, meinte Tumbo, und A.G. glaubte, zurechtgewiesen zu werden. Hatte ihn gestern jemand zum Zauberheiler gehen sehen? Doch weder der Gang seines Chefs noch seine Stimme signalisierten Zorn. Im Büro schob ihm Inspector Tumbo einen Stuhl hin. „Weißt du, was letzte Nacht passiert ist?“ „Nein“,

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