Herr der Krähen
wusstest du, wo ich mich aufhalte?“, fragte Kamĩtĩ.
„In Santalucia reden alle über Sie. Und es ist ganz klar, warum. Zauberheiler werben nie öffentlich für sich. Sie verrichten ihre dubiose Arbeit im Dunkeln. Sie aber haben an Ihrem Haus eine Botschaft angebracht. Was soll das bedeuten? Doch nichts anderes, als dass Sie im hellen Licht des Tages tätig sind. Eine Gottheit hat mich bei der Hand genommen und meine Schritte geradewegs zu Ihrem Haus gelenkt. Möge eben diese Gottheit Sie segnen, damit Ihre Kunst blühe, das Böse zu bannen und das Gute zu fördern!“
Anstatt über diese Nachricht erheitert zu sein, spürte Kamĩtĩ, dass er schwermütig wurde. Ihm war klar, dass er von hier verschwinden musste, noch bevor sich die Nachricht vom Zauberer weiterverbreitete. Er hatte den alten Mann behandelt. Er war das Geld losgeworden. Wie dumm von ihm, den Anschlag so lange an der Veranda hängen gelassen zu haben! Als er den alten Mann hinausbegleitete, nahm er seine Tasche auf. Diesmal würde es keine Umkehr geben.
Jetzt aber war es an ihm, einen Schrei der Überraschung, ja der Bestürzung, auszustoßen. Wie angewurzelt blieb er stehen. Er fürchtete umzufallen und starrte ungläubig hinaus. Draußen warteten zehn weitere Patienten. Der alte Mann zwinkerte ihm zu, als wollte er sagen: Du kannst dich nirgendwo mehr verstecken. Du musst deine Rolle als Heiler annehmen! Warum ausgerechnet hier?, dachte Kamĩtĩ. Eine Laune des Schicksals. Jedes Mal, wenn ich zu entwischen versuche, stellt es sich mir in den Weg.
Er ging zurück in die Küche, um sich geduldig seinen Patienten zu widmen, einem nach dem anderen.
Dabei erwartete ihn eine weitere Überraschung. Der erste erklärte ihm, alle zehn seien Polizisten in Zivil. Waren sie gekommen, um ihn abzuholen?
„Wir möchten, dass Sie denselben Zauber anwenden, den Sie bei unserem Kollegen Constable Arigaigai Gathere angewendet haben. Er war ein Niemand bei der Verkehrspolizei, jetzt ist er eine große Nummer im Büro des Herrschers. Herr Zauberer, wir wünschen uns, dass Sie den Spiegel einsetzen und alle Feinde auskratzen, die unseren Gehaltserhöhungen und Beförderungen im Wege stehen.“
Die zehn redeten und hoben die Bedeutung des Spiegelzaubers hervor und würzten jeden Satz mit seinem Namen, oder zumindest mit einer Bezeichnung, von der sie glaubten, dass sie auf ihn zuträfe, bis er selbst es vor sich sah, ein Schild mit blitzenden Neonlichtern: HIER IST DER SCHREIN DES HERRN DER KRÄHEN.
Z W E I T E R T E I L
1
Als die Nachricht, vor den Toren des Paradise seien ein paar Bettler verprügelt worden, das State House erreichte, geriet der Herrscher in Wut. Gerüchten zufolge wurde er von Machokali angestachelt, der am nächsten Morgen ins State House kam und berichtete, wie glatt das Bankett gelaufen wäre, wenn sich die Bereitschaftspolizei nur ein wenig zurückgehalten hätte. Zumindest die Global-Bank-Delegation hätte von den Protesten niemals etwas erfahren. Doch jetzt, meinte Machokali, könne er nicht abschätzen, wie die Delegationsmitglieder auf die Nachricht reagierten. Selbstverständlich würde er jedoch all seine diplomatischen Fähigkeiten einsetzen, um den Schaden zu begrenzen, den die ansonsten fähige Sicherheitsmannschaft angerichtet habe.
Was den Herrscher später zum Kochen brachte, waren die gegen die Global Bank gerichteten Flugblätter, die in ganz Aburĩria verteilt wurden und sogar vor die Tore des State House und ins Parlament gelangten. Sofort zitierte der Herrscher Sikiokuu ins State House und las ihm die Leviten: „Bring mir die Anführer der Bewegung für die Stimme des Volkes. Tot oder lebendig. Wenn du versagst …“, und der Herrscher ließ den Rest in der Schwebe, um dem Minister zu verdeutlichen, was ihn in diesem Fall erwartete.
Sikiokuu indes war ein Meister darin, selbst die schlimmsten Situationen zu seinem Vorteil zu kehren. Deshalb fiel er jetzt auf die Knie und senkte das Haupt, sodass seine Ohren tatsächlich die Füße des Herrschers berührten.
„Ich flehe Eure Allmächtige Vortrefflichkeit an, mir mehr Befugnisse zu verleihen, damit ich alle ausräuchern kann, die hinter der jüngsten Verschwörung stecken, Sie und Ihre Regierung zu verunglimpfen. Ich plane, die Zahl der Staatslauscher und Spürnasen zu vergrößern, damit nicht eine Schule, ein Marktplatz oder irgendein anderer öffentlicher Raum, so klein und unbedeutend sie auch sind, unentdeckt bleiben. Ich möchte
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