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Herr der Krähen

Herr der Krähen

Titel: Herr der Krähen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ngugi wa Thiong
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aktivierten Augen und Ohren und Nasen des Herrschers handelte? Plötzlich fiel ihr Kamĩtĩ ein. Was war mit ihm passiert? Ihre Angst wuchs. Immerhin war Sikiokuu nach Kaniũrũs Aussage mit besonderer Macht ausgestattet worden, um die Gegner des Regimes auszulöschen. Kaniũrũ hatte es auf Kamĩtĩ abgesehen und könnte die Staatssicherheitskräfte zu ihrem Haus geführt haben. Oder war A.G. mit einer Polizeieinheit zurückgekommen? A.G. hatte so etwas angedeutet, und jetzt, da er die Aufgabe bekommen zu haben schien, Dschinns zu verhaften, war er vielleicht auf den Gedanken gekommen, den Herrn der Krähen festzunehmen?
    Entschlossen ging sie zum Haus eines Nachbarn, um herauszufinden, was vor sich ging. Auf dem Weg dorthin sah sie einen Mann aus seinem Haus treten, nach hinten gehen und an die Wand pinkeln. Sie trat auf ihn zu, als er gerade wieder ins Haus zurückwollte.
    „Was ist denn hier los?“, fragte sie unbekümmert und wies beiläufig zur Schlange hinüber, ohne preiszugeben, dass sie in diesem Haus wohnte.
    „Die da drüben? Lass die bloß in Ruhe!“, antwortete der Mann. „Das ist alles wegen diesem Zauberheiler, diesem – wie nennt er sich gleich? – Herrn der Krähen. Die Methoden dieser Hexenmeister sind sonderbar. Erst vor zwei Tagen hat er einen Aushang an seiner Tür angebracht, auf dem er sein dunkles Geschäft ankündigte. Zunächst kamen nicht mehr als zehn Leute, um ihn zu konsultieren. Doch jetzt schau dir das an! Ich habe keine Ahnung, was da los ist. Lady, geh deiner Wege, ich geh den meinen; es ist nicht gut, im Dunkeln zu viele Fragen zu stellen.“
    Nyawĩra hatte in Santalucia schon viele Wunder erlebt, aber das übertraf alle. Sie wusste nicht, ob sie lachen oder weinen sollte. Sie ging auf die Rückseite ihres Hauses und klopfte ans Fenster. Keine Antwort. Sie wartete einen Augenblick und klopfte erneut. Beim dritten Versuch teilten sich die Gardinen und sie sah die Umrisse eines Menschen. Als sie Kamĩtĩ erkannte, war Nyawĩra erleichtert. Er half ihr, durch das Schlafzimmerfenster zu klettern und gab ihr ein Zeichen, still zu sein und sich nicht von der Stelle zu rühren. Dann ging er wieder an die Arbeit.

5
    Von ihrem Platz im Schlafzimmer konnte Nyawĩra die handelnden Personen nicht sehen, aber sie hörte jedes Wort, das zwischen Kamĩtĩ und seinen Kunden gewechselt wurde. Das Ganze kam ihr wie rituelles Theater vor.
    „Was plagt dich?“, hörte sie Kamĩtĩ den Mann auf der anderen Seite des kleinen Fensters fragen.
    „Meine Feinde.“
    „Deine Feinde?“
    „Ja, meine Geschäftspartner. Wir gehen gemeinsam Essen und Trinken, wir lachen und klopfen uns gegenseitig auf die Schultern, aber das ist alles eine einzige Lüge. Jetzt sieht es so aus, als würde die Global Bank Gelder für Marching to Heaven bereitstellen. Können Sie sich vorstellen, was das bedeutet? Ein Vertrag über die Lieferung von Tee, Butter, Zigaretten oder selbst den einfachsten Artikeln würde einen für den Rest des Lebens steinreich machen. Verstehen Sie, worauf ich hinauswill? Wenn wir schon in Zeiten, in denen es um wenig geht, gegeneinander intrigieren, dann können Sie sich vorstellen, was jetzt los ist. Ich besitze viele Steinbrüche. Mein einziger Wunsch ist es, zum Cheflieferanten von Zement, Steinen und Sand für Marching to Heaven zu werden. Aber glauben Sie mir, Herr Zauberer, ich habe unzählige Feinde, und sie stecken überall, sie sind skrupellos und wollen das, was ich haben will.“
    „Warum bist du zum Schrein des Herrn der Krähen gekommen?“
    „Ich wünsche mir, dass Sie meinen Händen Entschlossenheit verleihen, meiner Zunge Gewandtheit und meinen Augen Kraft, damit sich, wenn ich den Herrn Vorsitzenden Titus treffe, zwischen ihm und mir sofort ein Band knüpft. Ich will ihn mit meinen Augen hypnotisieren, mit meiner Zunge sein Herz sanft stimmen und das Freundschaftsangebot mit einem herzlichen Händedruck besiegeln. Gleichzeitig sollen Sie meinen Mitbewerbern alle Überredungskünste nehmen. Machen Sie ihre Hände kraftlos und nass vor Schweiß, damit es ihn ekelt, wenn sie dem Herrn Vorsitzenden Titus die Hand schütteln; rauen Sie ihre Zungen auf, damit sie, wenn sie ihr Lob auf ihn singen wollen, nur krächzende Geräusche hervorbringen, die schlimmer klingen als Metall auf Metall; lassen Sie Eiter aus ihren Augen triefen, damit, wenn sie ihn ihren Wünschen unterwerfen wollen, nur Abscheu in ihm aufsteigt und ihn abschreckt. Kennen Sie die Geschichte von der großen

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