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Herr der Krähen

Herr der Krähen

Titel: Herr der Krähen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ngugi wa Thiong
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HEUTE KEINE HEILUNG. KOMMEN SIE MORGEN WIEDER. Dann würde er Tajirika mit auf eine Reise in die Vergangenheit nehmen und seine Englischkenntnisse prüfen.
    Auge um Auge, Zahn um Zahn: Für Kamĩtĩ hatten diese Worte aus der Bibel nie wahrer geklungen.
    „In Ordnung, er soll kommen“, sagte Kamĩtĩ geheimnisvoll zu Nyawĩra.

11
    Vinjinia fuhr mit ihrem schwarzen Mercedes zum Santalucia-Einkaufszentrum, wo Nyawĩra wartete. Sie hatten verabredet, sich sehr früh am Morgen zu treffen, um vor den anderen Kunden am Schrein des Herrn der Krähen einzutreffen. Obwohl Nyawĩra selbst das Einkaufszentrum als Treffpunkt vorgeschlagen hatte, verhielt sie sich, als wäre sie mit diesem Teil von Santalucia nicht vertraut.
    Nyawĩra saß auf dem Beifahrersitz und drehte sich nach Tajirika um. Sie erwartete, eine kränklich aussehende Person zu sehen, doch der Tajirika, den sie vor sich hatte, schien überhaupt nicht krank zu sein. Sein Bauch war ein wenig geschrumpft, sodass sein dunkler Anzug besser saß. Er lehnte im Rücksitz des Wagens, die Fenster verdunkelt. Manchmal warf er einen Blick in ihre Richtung, aber als Nyawĩra versuchte, ihm zu begegnen, wurde klar, dass er sich in eine ganz eigene Welt zurückgezogen hatte und sie nicht erkannte. Deshalb konzentrierte sie sich darauf, Vinjinia zum Schrein zu dirigieren.
    Erst da fiel ihr auf, dass Vinjinia ohne die Hilfe von Rückspiegel und Seitenspiegeln fuhr. Wenn sie abbiegen musste, steckte sie ihren Kopf aus dem Fenster oder bat Nyawĩra um Hilfe, um sicherzugehen, dass der Weg frei war. Nyawĩra wollte gerade sagen, die Spiegel seien nicht richtig eingestellt, als ein böser Blick von Vinjinia sie verstummen ließ.
    Obwohl sie sofort verstand, machte das ihre Furcht nicht geringer, in einem Auto zu sitzen, das durch einen Stadtteil fuhr, den die Fahrerin kaum kannte. Zum Glück herrschte zu dieser frühen Morgenstunde nicht viel Verkehr, aber Nyawĩra war trotzdem erleichtert, als sie schließlich ihre Straße erreichten. Sie zeigte Vinjinia, wo sie parken konnte, einige Häuser von ihrem eigenen entfernt. Den Rest des Weges gingen sie zu Fuß.
    Als sie das Haus betraten, hörten sie die Stimme eines Mannes. Sie konnten ihn nicht sehen, erhielten aber den Befehl, den Patienten auf einen Stuhl gegenüber eines Fensters in der Wand zu setzen, die das Wartezimmer vom Innern des Schreins trennte. Nyawĩra und Vinjinia setzten sich daneben. So zu tun, als wäre sie fremd in ihrem eigenen Haus, forderte Nyawĩras ganze Geduld und ihre schauspielerischen Fähigkeiten heraus.
    Während Kamĩtĩ den Patienten vor sich vollständig sehen konnte, vermochte dieser lediglich das Gesicht des Herrn der Krähen auszumachen, aber es schien Tajirika völlig egal zu sein, ob er ein Gesicht vor sich hatte oder nicht; er schien seine Umgebung tatsächlich nicht wahrzunehmen. Er starrte einfach vor sich hin, das Kinn auf die Hände gestützt. Gelegentlich wurde sein Schweigen von einem Anfall von „Wenns“ unterbrochen.
    Dieser Mann muss im fürchterlichen Schrecken seines eigenen Schweigens leben, dachte Kamĩtĩ, und als er dieses Elend vor sich sah, tat ihm Tajirika leid. Alle Rachegedanken verschwanden. Kamĩtĩ sah jetzt nur noch die Herausforderung, die diese Krankheit darstellte: Woran lag es, dass der zungenfertige Tajirika in einem Gefängnis des Schweigens saß? Und warum immer „wenn“ und „wenn ich bloß“?

12
    Unter all den Fällen, die er behandelt hatte, sollte Kamĩtĩ später rückblickend sagen, gehörte Tajirikas zu den schwierigsten. Normalerweise ergründete Kamĩtĩ, wenn er als Wahrsager arbeitete, das Problem eines Klienten anhand der Art und Weise, wie dieser auf seine Fragen antwortete. Tajirika konnte aber keine Fragen beantworten. Es war, als wäre er taub, als weilte seine Seele in einer anderen Welt und misstraute derjenigen, in der er sich gerade befand. Es war unbefriedigend, aber Kamĩtĩ flüsterte immer wieder vor sich hin: Um einen Patienten zu retten, legt man die eigene Ungeduld in Ketten!
    Der Herr der Krähen bat Vinjinia, sich neben ihren Mann zu setzen. Das verblüffte sie, denn sie hatte immer geglaubt, ein Zauberer verkünde seine Weissagungen, ohne vorher Fragen zu stellen. Sie war nicht erpicht darauf, die peinlichen Einzelheiten von Tajirikas Geschichte preisgeben zu müssen. Ein paar Dinge werde ich weglassen, dachte sie. Doch im selben Augenblick hörte sie, wie der Herr der Krähen ihren Gedanken laut wiederholte. Nichts

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