Herr der Krähen
dem Büro kam, wartete sie wieder, bis er eingeschlafen war, nahm ihm den Spiegel aus der Hand und versteckte ihn. Am Morgen wies sie die Hausangestellten an, darauf zu achten, dass weder im Haus noch sonst auf dem Anwesen ein Spiegel herumlag. Ohne Spiegel wurde Tajirika zunehmend schwermütiger.
Vinjinia rief Ärzte an, von deren Diskretion sie überzeugt war. Sie erzählte ihnen, wie niedergeschlagen er sei und dass er sich manchmal im Gesicht kratze, unterließ aber jeglichen Hinweis auf Tajirikas Spiegelmanie und seinen Sprachverlust. Sobald ein Arzt vorschlug, ihn in seine Klinik zu bringen, spielte sie den Ernst seines Leidens herunter. Andere sagten frei heraus, per Telefon weder eine Diagnose stellen noch Arznei verschreiben zu können; und dritte empfahlen rezeptfreie Arzneimittel gegen Jucken und Depressionen. Aber die Medikamente halfen nicht.
Was sollte sie machen? Als die Tage vergingen, ohne dass sich Tajirikas Zustand besserte, bekam Vinjinia das Bedürfnis, ihr Geheimnis mit jemandem zu teilen.
„Ich glaube, jemand hat ihn verhext“, sagte sie eines Tages unvermittelt zu Nyawĩra.
Sie arbeiteten jetzt die zweite Woche zusammen. Der Motorradfahrer war gesund und munter wieder aufgetaucht, doch für Vinjinia und Nyawĩra waren die Nachrichten von endlosen Schlangen und motorisiertem Wahnsinn niederschmetternd. Gacirũ und Gacĩgua gingen wieder in die Schule, und Nyawĩra vermisste die Stunden des Geschichtenerzählens.
„Wissen Sie, viele neiden ihm seinen Erfolg“, fuhr Vinjinia fort, „vor allem seine Berufung zum Vorsitzenden von Marching to Heaven. Inzwischen isst er nicht einmal mehr richtig. Wenn Sie ihn sähen, würden Sie ihn kaum wiedererkennen, so hat er abgenommen.“
„Wer sollte ihn denn mit einem bösen Zauber belegen wollen?“, fragte Nyawĩra, neugierig, wen Vinjinia als Feind betrachtete.
„Ich weiß nicht; vielleicht irgendeiner von den sogenannten Geschäftsleuten, die hier aufgetaucht sind, um ihre Aufwartung zu machen. Jetzt kommen sie nicht mehr. Warum? Wahrscheinlich seit genau dem Augenblick, in dem sie erfuhren, dass ihr böses Tun wirkt.“
„Aber woher wollen Sie wissen, dass er verhext ist?“, fragte Nyawĩra, der einfiel, dass Vinjinia eine gläubige Christin war. „Hat er vor oder während seiner Krankheit irgendetwas Ungewöhnliches getan, gegessen oder angezogen?“
Vinjinia erinnerte sich an den Handschuh, den er an der einen Hand trug, was ziemlich seltsam war, weil er ihn niemals ablegte, weder bei Tisch noch im Bett.
„Ja“, antwortete Vinjinia nach kurzem Überlegen, wie weit sie sich Nyawĩra anvertrauen sollte. „Als dieser Irrsinn mit Marching to Heaven anfing, hat sich mein Mann angewöhnt, einen Handschuh an der rechten Hand zu tragen. Er zieht ihn nie aus und wäscht sich auch nicht die Hand.“
„Nehmen Sie ihm den Handschuh weg“, schlug Nyawĩra vor.
In dieser Nacht zog Vinjinia, nachdem sie sich von Tajirikas festem Schlaf überzeugt hatte, den Handschuh von der Hand. Er stank so entsetzlich, dass sie ihn auf den Boden warf. Hatte der Gestank mit der Zauberei zu tun? Was, wenn sie ebenfalls Opfer dieser dunklen Mächte wurde?, dachte sie plötzlich erschrocken. Sie nahm sich vor, jeden Kontakt mit dem Handschuh oder der Hand zu vermeiden. Aber wie konnte sie diesen Mächten erlauben, ihr vorzuschreiben, was sie in ihrem eigenen Haus anfassen durfte und was nicht, einschließlich der Hand ihres Ehemanns? Sie holte ihre Bibel, drückte sie an die Brust und fühlte sich etwas mutiger. Sie untersuchte die Hand. Unter den langen Fingernägeln waren Schmutzränder. Sie dachte daran, die Nägel zu schneiden, die Hand zu waschen und den Handschuh in den Müllsack zu werfen, aber das würde bedeuten, ein Beweismittel zu vernichten. Sie hob den Handschuh vom Boden auf und legte ihn in eine Schublade.
Am nächsten Tag erzählte sie Nyawĩra, sie sei jetzt sicher, dass ihr Mann vom Bösen im Innern des Handschuhs verhext wurde.
„Wieso im Innern des Handschuhs?“ fragte Nyawĩra. „Und warum hat es nicht sofort zugeschlagen, als er den Handschuh anzog?“
„Da haben Sie irgendwie recht“, gab Vinjinia zu. „Die Verhexung muss passiert sein, als sie sich hier im Büro die Hände geschüttelt oder die Umschläge mit dem Geld rübergeschoben haben. Kurz nachdem er das Geld gezählt und mit dem Handschuh berührt hat, ist er krank geworden.“
„Geld? War es viel?“, fragte Nyawĩra; nicht nur, weil sie die Unterhaltung im Gang
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