Herr der Moore
meine Frage.«
Stephen ging nicht darauf ein. Einen Augenblick später seufzte Campbell und drehte sich auf seinem Hocker um. Dumpfes Licht brach sich im Fensterglas, und wie er hinschaute, streifte ein Blatt die Scheibe. Der aufziehende Nebel schloss die Sonne nahezu völlig aus. »Hundewetter«, bemerkte er.
»Ich kann gut damit leben.«
»Wirklich? Dann mögen Sie diese Region wohl sehr gern. Dreißig Tage Sonnenschein und elf Monate Grau in Grau … das wohlgemerkt nur, wenn wir Glück haben.« Er kicherte und schüttelte den Kopf, weil ihn sein Witz selbst verblüffte. »Sie bleiben also vorübergehend hier?«
»Sie stellen eine Menge Fragen.« Stephen sprach wieder todernst.
Campbell streckte begütigend die Hände von sich. »Ich versuche bloß, eine Konversation anzuleiern. Falls es Sie stört, stand dies nicht in meiner Absicht.«
»Ein Feuer.«
Der Doktor stutzte. War ihm im Laufe ihres Wortwechsels etwas entgangen? »Entschuldigung, aber ich …«
»Darauf zielen Ihre Fragen doch ab, oder?« Stephen zeigte mit einem verwachsenen Zeigefinger auf seinen Kopf. »Darauf, was mir passiert ist. Ich bezweifle stark, dass Sie so naseweis wären, trüge ich keinen Verband, der richtiggehend verführerisch auf Brandnarben darunter hindeutet.«
Campbell schüttelte leugnend den Kopf. »Sir, ich versichere Ihnen …«
»Ich verlange keine Versicherung von Ihnen, Doktor Campbell, und genauso wenig fühle ich mich beleidigt. Wären Sie nicht vom Fach und beäugten mich stattdessen wie ein seltenes biologisches Fundstück, würde ich Sie in Stücke reißen, noch bevor Sie merkten, dass ich aufgestanden bin. Weil Sie aber Arzt sind, muss ich Ihnen das Interesse aus rein beruflicher Natur auslegen; Sie sind besorgt und weiden sich nicht an meinem Leiden.«
Campbell zeigte sich angesichts der Drohung ein wenig vor den Kopf gestoßen. Handgreiflichkeiten an sich, bei denen er in seinem Alter und Zustand vermutlich keinen Stich bekäme, fürchtete er weniger, als von diesem Mann angefasst zu werden. Er hielt ein angewidertes Schaudern zurück und schluckte. »Bei allem Respekt, Stephen, dass ich nachhake … und sehen Sie mir nach, dass ich es rundheraus tue … hat ausschließlich professionelle Gründe, wie Sie richtig bemerkten, und nichts mit etwaiger Niedertracht zu tun.« Als Stephen nichts entgegnete, drängte Campbell weiter: »Ein Feuer, sagten Sie?«
»Ja, und was für eines.« Der Tonfall zeugte von Ehrfurcht, und sein glasiger Blick schweifte in die Ferne.
»Tja …« Der Arzt musste etwas sagen, da die Stille zu lange anhielt. »Tut mir leid, dies zu hören.«
Stephens Augen klarten auf. »Muss es nicht«, beruhigte er. »Man kann sich nicht im Dunkeln einsperren und über ungerechtes Schicksal, die gemeinen Flausen des Lebens lamentieren. Alles geschieht aus gutem Grund, wie man so sagt, und dem kann ich viel abgewinnen. Wenn mir das Aussehen, mit dem ich eine unbeschwerte Jugend verbracht habe, auch abhandengekommen ist, brauche ich es jetzt sowieso nicht mehr, und mit dem Verkleiden ist es genauso wie mit übermütigen Eskapaden und falscher Eitelkeit vorbei. Hier brauche ich das nicht. Nein, Doktor Campbell, in der Wildnis hat alles seinen angestammten Platz. Es gibt Jäger und Gejagte – die Beute. Früher oder später findet jeder von uns heraus, zu welcher Kategorie er gehört, und natürlich schwingt das Pendel wie im Falle des Schicksals nicht immer zu unseren Gunsten aus.«
Die Worte des Mannes blieben in Campbells Gedächtnis und hallten wider. Da sein Rausch untragbar wurde, brachte er beim besten Willen keine zusammenhängende Antwort heraus, also nickte er bloß andächtig.
Stephen fuhr fort, nachdem er erneut genippt hatte: »Ich frage mich, auf welche Seite Sie gehören.«
Campbell gluckste, reckte seinen Drink zum stummen Toast und trank leer. »Mein Vater nahm mich mit auf die Jagd«, begann er und unterdrückte ein Rülpsen, »aber ich stellte mich ungeschickt an, was ihn mit der Zeit frustrierte. Schießen konnte ich eigentlich relativ gut, wenn ich mich recht entsinne, doch sobald mir ein Fasan vor die Flinte lief, wurde ich starr vor Schreck und schlotterte. So sehr ich mich auch anstrengte, so häufig Vater mir drohte, ich konnte einfach nicht abdrücken. Irgendwann gab er es mit mir auf, und zwar nicht nur beim Jagen.« Er hob die Hand erneut und rief nach Sarah, die ihn mit einem verärgerten Blick bedachte, ehe sie ihm das Glas abnahm. Als er sich wieder umdrehte,
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