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Herr der Moore

Herr der Moore

Titel: Herr der Moore Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kealan Patrick Burke
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prachtvolles Geweih ragte wie knorrige Wurzeln hervor, die sich nach dem Erdreich ausstreckten, dem das Tier wieder entsteigen mochte. An der Wand gegenüber dem Eingang hingen mehrere Bilder, deren jedes ein Porträt mit siegessicherer Miene zeigte – eine Jägergalerie. Einen Rahmen zur Seite hin hatte man abgehangen, sodass ein weißer Fleck zurückgeblieben war, der sich deutlich vom qualmgelben Verputz abhob. Unter den sieben grinsenden Helden standen sieben Rundtische dicht an der Wand. Sie waren nicht besetzt, während die Bauern in der anderen Ecke lauthals grölten.
    »Noch einen?«
    Campbell schaute auf. Sarah stand vor ihm und stemmte die Hände in die Taille.
    »Verzeihung?« Jetzt erst bemerkte er, dass er leergetrunken hatte, ohne dass es ihm aufgefallen war. »Ach ja, sicher.«
    Sarah nickte und nahm sein Glas. Erneut beobachtete er sie, bis sie mit Nachschub zurückkehrte, den sie wie zuvor unhöflich laut auf die Theke stellte. Während er sein Geld zusammensuchte, wartete sie merklich ungeduldig. Diesmal ließ er sich absichtlich länger Zeit.
    »Muss unheimlich anstrengend sein, uns Trampeln aufzuwarten«, sagte er.
    Sie ging nicht darauf ein, sondern streckte nur eine Hand aus.
    »Vielleicht solltest du dir mal einen Abend freinehmen, selbst einen heben und ein Tänzchen oder zwei wagen. Das allein könnte dir bereits etwas Auftrieb schenken.«
    Als sie lächelte, sackten seine Mundwinkel ein Stück weit nach unten, weil er selten erlebt hatte, wie ein so hübsches Ding einen derart humorlosen, verhärmten Eindruck machen konnte.
    »Das ist doch sicher Ihre Einschätzung als Mediziner … nicht wahr, Doktor?« Den Titel betonte sie dergestalt, dass er wie der Name einer Krankheit klang.
    »Überhaupt nicht. Vielmehr halte ich es für eine Schande, dass Sie sich die ganze Zeit hier einsperren lassen und dazu verdammt sind, Säufern und Raufbolden etwas vorzumachen. Ein Abend Abstand würde Ihnen mehr als nur ein wenig guttun.«
    Er hoffte gleichzeitig, die Andeutung sei offensichtlich und befürchtete, zu direkt gewesen zu sein. Nichts lag ihm ferner, als sie abzuschrecken oder wütend zu machen, nun da sie sich endlich nur mit ihm beschäftigte.
    »Sagen Sie, Doktor«, hob sie an, indem sie sich nach vorn beugte. »Weshalb bekümmert Sie, was ich mit meiner Zeit anfange?«
    Campbell schürzte die Lippen. »Ich finde einfach, du könntest sie besser nutzen, das ist alles. Du bist noch jung und attraktiv obendrein, aber niemand bringt es zu einem erfüllten Leben, indem er die Ausdünstungen derer einatmet, die ihr eigenes bereitwillig wegwerfen.«
    Nun schaute sie ihm in die Augen, und im Geiste sah er, wie sie sich zu ihm streckte und ihn berührte. Ihre Finger spielten mit seinen Kinnstoppeln, die Zunge lugte hervor, um ihre Lippen zu befeuchten, die wiederum nach seinen lechzten. Eventuell würde sie auch zurücktreten, die Arme verschränken und abwägen – nur einen flüchtigen Moment lang, in dem sie ihre schwermütige Miene ablegte, und gerade so lange, um knapp zu nicken, dann Zeit beziehungsweise Ort zu nennen, an dem er sie ausführen und ihr das Leben zeigen durfte, das ihr abging, die verlorene Liebe und Verve, nach welcher sie sich verzehrte.
    Stattdessen aber blickte sie über seine Schulter hinweg, grunzte und sprach: »Legen Sie das Geld hierhin; ich muss mich um andere Gäste kümmern.«
    Verärgert und mehr als nur ein wenig enttäuscht drehte sich Campbell um. Wer war es, der seine Chancen zunichtegemacht hatte? Da erstarrte er, und ein Fuß rutschte von der Sprosse seines Hockers. »Großer Gott«, flüsterte er und merkte sogleich, dass ihn wohl alle Anwesenden gehört hatten, denn ringsum war es totenstill geworden. Die Landmänner hatten ihre Ausgelassenheit vergessen, als ihnen beim Blick über ihre Gläser aufgefallen war, wer sich dem Tresen näherte.
    Trotz des dichten Rauchs, den sie mit ihren Pfeifen und Zigaretten heraufbeschworen hatten, erfüllte urplötzlich ein Geruch von feuchter Erde und Tod den Raum.

    ***

    Fernes Rascheln weckte Jack Mansfield aus einem Höllentraum.
    Ein Angstschrei erstarb in seiner Kehle, als er die Augen aufschlug. Welch spukhafte Erscheinung hatte sich heute Nacht zu ihm ins Zimmer gesellt? Die wache Welt bewahrte ihn nicht mehr länger vor den quälend finsteren Bildern, die ihn im Schlaf heimsuchten. Auf die Geräusche, die ihn aus dem Dusel rissen, war nun genauso wenig Verlass, denn öfter als einmal rührten sie von einem

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