Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Herr der Nacht

Herr der Nacht

Titel: Herr der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanith Lee
Vom Netzwerk:
und der Ozean blieb stumm. Schließlich wurde er müde und legte sich auf den glitschigen Felsen nieder und bettete sein Gesicht auf die Seealgen und bewegte sich nicht mehr.
    Nur sein Gehirn arbeitete. Es nagte nach innen, wie eine Ratte. Sein Geist war nur noch Haß. Der Haß verzehrte ihn. Er erreichte sein Herz und seine Seele. Nun konnte sein Haß nirgends mehr hinwandern, er konnte nicht entfliehen. Also begann er wie jede große Kraft, die in einem Behälter eingeschlossen ist, zu gären und zu schäumen.
    Zeit verging. Kaschak erreichte ein erstaunlich hohes Alter. Er vollbrachte viele Wunder und wurde sehr geschätzt. Und jedes Jahr, an einem bestimmten Tag, warf er ein Schmuckstück in das Meer. Er vergaß es niemals. Dann, eines Nachts in seinem zwanzigsten Jahrzehnt, war Kaschak das Leben letztendlich langweilig geworden. Er lächelte und starb. Und in jenem Jahr erhielt der Seeherrscher kein Schmuckstück mehr, und der Gebieter des Meeres hielt den Vertrag damit für hinfällig, und der magische Zaun um Qebbas Felsen löste sich auf.
    Aber gewiß hatte Qebba nicht so lange gelebt: ohne Nahrung, ohne Raum, ohne Bewegung. Die Pseudounsterblichkeit, welche die Monsterhaut ihm verliehen hatte, war zusammen mit dieser Haut von ihm abgefallen. Nein, Qebba konnte nicht mehr am Leben sein, und lebte auch nicht mehr. Tatsächlich war sogar sein Fleisch von dem Felsen gewaschen, selbst seine Knochen waren in den Stein übergegangen, waren nicht mehr.
    Doch etwas blieb übrig, etwas, das nicht sterben konnte. Das Ding, das hier in diesem Gefängnis gegärt, geschäumt und sich verstärkt hatte: Qebbas unversöhnlicher, tödlicher, hungernder Haß.
    Der nun freigesetzt wurde.
5
Ein geflügeltes Schiff
    Flach oder rund, es hatte immer Haß in der Welt gegeben.
    Der Haß trieb in der frühen Dunkelheit in der Nacht von den Felsen über das Meer. Er hatte noch keine Form, doch er hatte einen schwachen Geruch wie Metall, das von Säure zerfressen wird. Es brauchte Nahrung, dieses Wesen, bis jetzt hatte es sich von selbst ernährt. Aber die Erde war eine volle Kornkammer, und die Türen standen offen.
    Rauhes Wetter kam auf. Ein Wirbelsturm zerriß den Himmel und rührte das Meer auf. Qebbas Haß kam an einer sinkenden Galeere vorbei. Ihre Segel waren zerrissen wie der Himmel, und ihr Unterdeck lag bereits unter Wasser. In ihrem Bauch schrien und fluchten die Ruderer in ihren Ketten, oben wurde ein kleines Boot ins Wasser gelassen, und Männer kämpften um einen Platz darin. Sobald einer einen anderen erschlagen hatte, kam ein dritter und erschlug ihn. An diesem Ort hielt der Haß Qebbas ein Festmahl, und neue Kraft durchflutete ihn.
    Später trieb der Haß zur Küste. In einem Kiefernwald hatten fünf Räuber einen Reisenden gefangen und erstochen. Kurz darauf versuchten sie, sich gegenseitig um ihre Anteile an der Beute zu betrügen und fielen einer unter des anderen Hieben. Der Haß weidete sich daran. In einer Stadt mit vielen Lichtern bestieg ein Mann seine Ehefrau und nahm sich sein Recht über sie; wie sehr verabscheute sie ihn und wünschte ihn ins Grab. In einem Hof peitschte eine Frau ihren Sklaven aus, der noch im Kindesalter war; das Kind lag zusammengekrümmt auf dem kalten Stein und träumte davon, ihr die Augen auszukratzen, während die Peitsche mit der Gewalt ihrer Wut seinen Rücken aufschlitzte. In einer gemütlichen Schenke heckten zwei arme Männer einen Plan aus, um einen reichen Mann zu ermorden, denn sie neideten ihm seinen Reichtum. In einem Turm stach ein Mädchen auf einem Samtbett Nadeln in das wächserne Abbild ihres Liebhabers, der sie verlassen hatte. Unter einer Brücke kämpften zwei Jünglinge um die Gunst eines dritten, der sie auslachte und verachtete. Auf einer Landstraße wurde ein Aussätziger zu Tode geprügelt.
    Haß weidete sich daran, Haß hielt seinen Festschmaus. Haß trieb langsam weiter und schlemmte von neuem.
    Die Welt war groß, eine riesige, gedeckte Tafel. Die Gerichte waren abwechslungsreich: Haß, heiß wie Feuer, der mordete, Haß, kalt wie Eis, der flüsterte und log, Haß, der bloß haßte, der stärkste Haß von allen, der Haß, der nach innen, gegen sich selbst gerichtet, Macht und Ansehen gewann, Haß, schwarz wie ein Kohlenflöz. An all diesen Schlemmereien labte sich der Haß Qebbas. Er wuchs mächtig und wurde stark. Er schwoll und sproß.
    Bald konnte er durch bloße Ausstrahlung seiner Aura auf der Erde Haß erwecken. Wo er wie eine Wolke vorbeitrieb,

Weitere Kostenlose Bücher