Herr der Nacht
Flammenschacht. Dies war der Eintritt ins Land der Dämonen, ein Ort von schrecklicher Schönheit, an den Menschen, wenn überhaupt, nur selten gelangten. Doch als Asrharn in seiner Wolkengestalt darüber hinweg eilte, hörte er das Kind in seinen Armen furchtlos kichern. Kurz darauf wurde die Wolke in den Rachen eines der höchsten Berge gesaugt, wo keine Flamme brannte, aber um so tiefere Dunkelheit herrschte.
Nach unten verschwand der Schacht, durch den Berg und unter die Erde, und mit ihm flog der Prinz der Dämonen, Herr über die Vazdru, die Eschva und die Drin.
Zuerst war da ein Tor aus Achat, das aufsprang bei seinem Kommen und klirrend hinter ihm zufiel, und nach dem Tor aus Achat ein Tor aus blauem Stahl und zuletzt ein schreckliches Tor, gänzlich aus schwarzem Feuer; jedoch jedes der Tore gehorchte Asrharn. Schließlich erreichte er die Unterwelt und schritt in die Stadt der Dämonen, Druhim Vanaschta; da nahm er eine Silberpfeife heraus, die wie das Schenkelbein eines Hasen geformt war, und blies darauf. Und sofort kam ein Dämonenpferd herbeigaloppiert, und Asrharn sprang auf seinen Rücken und ritt schneller als jeglicher Wind auf der Erde zu seinem Palast. Dort gab er das Kind in die Obhut seiner Eschva-Dienerinnen und warnte sie, daß ihre Tage in der Unterwelt nicht länger angenehm für sie sein würden, wenn dem Jungen irgendein Leid widerfahren sollte.
Und so war es in der Stadt der Dämonen, in Asrharns Palast, wo das Kind aufwuchs, und all die Dinge, die es kannte und mit denen es daher auf natürliche Weise vertraut wurde, waren von Anfang an die fantastischen, brütenden und mit Zauber beladenen Dinge von Druhim Vanaschta.
Ringsumher war Schönheit, aber Schönheit von einer bizarren und erstaunlichen Art; indessen war es die ganze Schönheit, die das Kind zu Gesicht bekam.
Der Palast selbst, außen von schwarzem Eisen, innen von schwarzem Marmor, wurde beleuchtet vom unveränderlichen Licht der Unterwelt, einem Glanz so farblos und kühl wie Sternenlicht auf Erden, indes vielmals strahlender, und dieses Licht strömte in Asrharns Hallen durch riesige Fensterflügel aus schwarzem Saphir oder düsterem Smaragd oder dem dunkelsten Rubin. Außerhalb lag ein Garten mit vielen Terrassen, wo ungeheure Zedern mit silbernen Stämmen und pechschwarzen Blättern wuchsen und Blumen von farblosem Kristall. Da und dort war ein spiegelgleicher Teich, in dem bronzene Vögel schwammen, während liebliche Fische mit Flügeln in den Bäumen saßen und sangen, denn die Gesetze der Natur unter der Erde waren völlig verschieden von denen auf der Erde. In der Mitte von Asrharns Garten spielte ein Springbrunnen; doch er war nicht von Wasser sondern von Feuer, einem scharlachroten Feuer, das weder Licht noch Hitze spendete.
Jenseits der Palastmauern lag die ausgedehnte und wunderbare Stadt, deren Türme aus Opal und Stahl und Kupfer und Jade hinaufragten in die Glut des niemals sich wandelnden Himmels. Keine Sonne ging jemals auf in Druhim Vanaschta. Die Stadt der Dämonen war eine Stadt der Finsternis, ein Ding der Nacht.
So wuchs das Kind. Es spielte in den Marmorhallen umher und pflückte die Kristallblumen und schlief in einem Bett aus Schatten. Als Gefährten hatte es die wunderlichen Phantomgeschöpfe der Unterwelt, die Vogelfische und die Fischvögel, und auch seine Dämonenammen mit ihren blassen und verträumten Gesichtern, ihren nebligen Händen und Stimmen, ihrem Ebenholzhaar, in dem sich Schlangen schläfrig wanden. Manchmal pflegte es zu der Fontäne aus kaltem, roten Feuer zu laufen und sie anzustarren, und dann pflegte es seine Ammen zu bitten: »Erzählt mir Geschichten von anderen Orten.« Denn es war ein forderndes, wenn auch reizendes Kind. Dennoch konnten die Eschvafrauen von Druhim Vanaschta nur schwach auf dieses Verlangen reagieren und zwischen ihren Fingern Bilder weben von den Taten ihrer eigenen Gattung, denn die Menschenwelt war ihnen wie ein brennender Traum, ohne Bedeutung, außer um entzückenden Zauber in ihr anzuwenden und Bosheit, die für sie überhaupt keine Bosheit war, bloß die richtige Ordnung der Dinge.
Ein anderes Wesen kam und ging im Leben des Kindes, und über es konnte nicht so leicht Rechenschaft abgelegt werden wie über die hübschen, sinnleeren Frauen mit ihren sanften Schlangen. Das war der schöne, große und schlanke Mann, der plötzlich hereinzukommen pflegte mit einem Rauschen seines Umhangs wie die Schwingen eines Adlers und seinem blauschwarzen Haar
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