Herr der Nacht
Hände oder fielen vor ihm auf die Knie und beschworen ihn, sie nicht zu verlassen. Aber Asrharn schob sie beiseite; er saß in steinerner Sprachlosigkeit und klopfte mit seinen beringten Fingern vor Ungeduld auf ein in Elfenbein gebundenes Buch.
Alsbald war das Schiff fertig. Sein Rumpf glänzte und glühte von den vielen Metallbändern in Blau und Grau und Gelb und Rot. Es hatte einen Baldachin aus Rauch und ein silbernes Segel aus gewobenen Winden, und die Ruderpinne bestand aus dem Schenkelbein eines Drachens. Die Flügel des Schiffes glichen den starken, weißen Flügeln der Schwäne, aber ihr Gefieder war aus dem Dämonenflachs gefertigt, das an den Ufern des Schlafflusses wuchs, und war in die Träume der Menschen getaucht.
Asrharn kam zu dem Schiff und lobte es, und die häßlichen Drin erröteten und lächelten einfältig. Asrharn betrat das Schiff und sprach zu ihm und nahm das Ruder, und das Schiff stieg durch die drei Tore, durch den einzigen untätigen Vulkanschlot, der auf der Welt noch übrig war, und die Vazdru erzitterten.
Das Schiff trieb aufwärts durch die schwarze und fuchsfarbene Luft der Erde, aufwärts, bis das Land weit unten lag wie siedendes Pech, das mit den brennenden Lichtern aus Feuer und Zerstörung geschmückt war. Das Windsegel bauschte und blähte sich. Das Schiff passierte den blutgefüllten Mond, der in der Dunkelheit riesig und schauerlich erglänzte. Durch die Wurzeln der Sternengärten flog das Schiff, durch das Dach der Welt. Seine Flügelschläge formten Halbkreise. Es flog, wohin kein menschliches Schiff je gesegelt oder kein eigensinniger Vogel je geflogen war, in das weite, unsichtbare, halb nichtexistierende Tor von Oberwelt.
Es herrschte ewige Helligkeit in Oberwelt, unsterbliches Licht von außergewöhnlicher Klarheit, das der immerwährenden Beleuchtung des Wohnorts der Dämonen glich und auch nicht glich. Denn das Licht von Oberwelt glich dem einer klaren und eisigen Morgendämmerung im Winter, obwohl keine Sonne schien und Himmel und Land eins waren.
Ein kaltes, blaues Land war Oberwelt, ein kaltes Blau, das ein Symbol war für die leidenschaftslosen, himmlischen Wesen, die dort wohnten.
Es gab dort keine Geographie als solche, nur überall diese scharfkantige Bläue, und in der Ferne eine schwache Ahnung von messerscharfen, blauen Bergen mit diamantenen Schneespitzen, obwohl diese Berge keine Füße hatten, und tatsächlich blieben sie ewig unerreichbar in der Ferne, selbst wenn du sieben Jahre lang auf sie zugingst. Gelegentlich mochten die isolierten Wohnsitze der Götter selbst in Sicht kommen, jeder sehr weit von den anderen entfernt. Ihr Gefüge hatte keine Beziehung zu den Gebäuden der Erde oder zu den Palästen von Druhim Vanaschta. Sie waren eher wie ungeheure Harfen, oder Harfensaiten, schlanke Pfeiler aus reinen Goldstrahlen, die sacht zu einer lautlosen Musik vibrierten.
In der Nähe des unsichtbaren, halb nicht-existierenden Eingangs, wo das Schiff zum Stehen gekommen war, befand sich der Heilige Brunnen, aus dem man Unsterblichkeitstränke schöpfen konnte. Aber der Brunnen war ein Widerspruch in sich, woran die Götter ohne Zweifel Gefallen fanden, denn sie selbst brauchten diese Wasser nicht zu trinken, da sie bereits unsterblich waren, während Menschen, die sich nach solch einem Trank sehnten, nicht darauf hoffen konnten, jemals an diesen Ort zu gelangen. (Einst hatte es wahrscheinlich einen winzigen Sprung in diesem Brunnen gegeben – der aus Glas war – durch den ein oder zwei Tropfen des köstlichen Elixiers herausgeflossen waren. Oder – wenn man bedenkt, was Zeit in Oberwelt bedeutet – sollte der winzige Sprung wahrscheinlich erst noch entstehen.) Da der Brunnen aus Glas bestand, konnte man das Wasser der Unsterblichkeit ungehindert darin sehen. Es hatte eine bleigraue Farbe, dieses Wasser: vermutlich zur Warnung. Direkt daneben, auf einer Bank aus dünnstem Platin, saßen zwei gebeugte Gestalten in grauen Umhängen, die Hüter des Brunnens.
Asrharn stieg aus dem geflügelten Schiff, und die Wächter hoben sofort die Köpfe. Keiner der beiden hatte ein Gesicht, nur ein einziges, riesiges, und immerwaches Auge, das ständig in Bewegung war, und sie sprachen aus einem Bereich ihrer Brust.
»Du darfst nicht trinken«, sagte der erste Wächter zu Asrharn, während er ihn mit seinem mitleidlosen, furchtbaren Auge betrachtete …
»In der Tat, du darfst nicht trinken«, sagte der andere und betrachtete ihn ebenfalls.
»Ich bin
Weitere Kostenlose Bücher