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Herr der Nacht

Herr der Nacht

Titel: Herr der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanith Lee
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Zauberers weinte.
    Der Zauberer hatte sich genähert. Sein Schatten vom Licht der schwebenden Fackeln fiel schräg auf Qebbas Rücken: eine Last mehr, die er nicht mehr zu tragen gedachte.
    Qebba richtete sich auf und warf den Schatten ab.
    »Du dachtest mich zu täuschen«, schrie Qebba. »Du hast einen Wurm aus mir gemacht und hinter meinem Rücken über mich gelacht. Einmal zu oft hast du dich über meine Narrheit lustig gemacht. Siehe, ich habe alles entdeckt. Ich bin klug; du warst unvorsichtig, mich so gut zu lehren. Nun bin ich auch ein Zauberer.«
    Der Zauberer sprach ein Wort, das Qebba fester als ein Seil hätte binden sollen, aber Qebba duckte sich und sprach ein Gegenwort, und der Zauberer glitt vorbei. Darauf wurde Kaschak bleich und biß auf den großen Rubin in seinem Ring. Es stimmte, Qebba hatte ausgezeichnet gelernt. Kaschak erkannte zu spät, daß er sich der Zähmung der Bestie zu sicher gewesen war.
    »Komm«, sagte Kaschak in einem angenehmen, versöhnlichen Tonfall, »dein Stolz gefällt mir. Du warst mein Diener, aber von nun an sollst du mein Bruder sein. Ich habe dich vor einem Tod bei lebendigem Leib errettet. Sei nicht zu voreilig. Es mag sich alles zum Besten wenden.«
    Aber Qebba zog eine Grimasse, wobei er seine Zähne entblößte. Es war immer noch etwas vom Wolf in ihm.
    »Es hat mich schon einmal einer hintergangen. Er kam bei Nacht wie du, aber ihn konnte ich nicht sehen. Ich mag die verlogene Freundlichkeit und die Geschenke der Menschen nicht, und auch nicht die von anderen Wesen. Ich bin jetzt gewappnet.«
    Und er drehte sich um und schritt durch den Garten davon.
    Kaschak befiel eine Furcht, wie er sie in den letzten zwanzig Jahren nicht mehr gekannt hatte. Und indem er all seine Kräfte zu Hilfe nahm, sandte er einen Blitzstrahl hinter seinem schurkischen Lehrling her, der ihn erschlagen sollte. Aber der Rauch der Selbsterkenntnis hatte Qebbas Fähigkeiten ungeheuer gesteigert. Er spürte den Blitzstrahl kommen, und während er herumfuhr, sandte er einen eigenen los, so daß die beiden Blitze sich in der Luft trafen und mit einer blauen Stichflamme explodierten. Qebba lachte. »Nun weiß ich, daß du mich fürchtest«, sagte er und rannte aus dem Garten.
    Ein einzelner Löwe stand vor dem Klippentor, der mit dem Schwanz peitschte und knurrte. Qebba streckte den Löwen mit einer glänzenden Lanze nieder, die er aus der Luft geschaffen hatte, und ging durch das Tor hinunter zum Kiesstrand. Trotz seiner neu erworbenen Fähigkeiten hatte er keine Macht über den Ozean, denn die Meere gehörten zu einem anderen Königreich als die Erde und hatten ihre eigenen Herrscher und ihre eigenen Gesetze. Aber Qebba nahm einen Holzspan aus seinem Gürtel, den er aufgelesen hatte, und riß einen Stoffetzen von seinem Ärmel und sprach die entsprechenden Worte und warf sie aufs Wasser. Das Tuch und das Holz verwandelten sich in ein kleines Schiff, in das Qebba einstieg. Dann segelte er davon.
    *
    Qebba segelte sieben Tage, bis er zu einem Felsen im Meer kam, der ungefähr die Länge von vier Männern hatte, wenn sie Kopf an Fuß hintereinander liegen, und ungefähr die Breite von drei Männern, in der gleichen Art gemessen. Da ihm Schönheit und Annehmlichkeit für immer verleidet waren, wählte er dies zu seinem Wohnsitz. Geschützt wurde er durch die Spitze des Felsens und gewisse Anordnungen aus Stein und Tuch. Als Nahrung dienten ihm Seealgen, die hier wuchsen, und Fische, die von der Flut angeschwemmt wurden. Wenn ihn dürstete, ließ er Regen vom Himmel in seine geöffneten Hände fallen.
    Dann begann eine grimmige und tödliche Schlacht zweier entschlossener Willen und zweier erfindungsreicher Geister. Die Stärke von Kaschak lag in seiner Zauberkunst, während Qebbas letztendliche Stärke in seinem unnachgiebigen, sinnlosen, stählernen Haß lag. Wie ein vom Mißgeschick betroffener Mensch sich umdrehen kann und blindlings auf einen Stuhl oder irgend ein anderes greifbares Objekt losgeht, so ließ Qebba, da es ihm unmöglich war, über die verflossenen Jahre hinweg dasjenige zu treffen, was ihn wirklich verletzt hatte, sich nun statt dessen an seinem früheren Meister aus.
    Zuerst dachte Kaschak nur daran, sich zu verteidigen. Die Streiche Qebbas waren kindisch, doch unangenehm. Es regnete schwarze Frösche auf Kaschaks Garten, oder roten Schlamm; Wirbelstürme donnerten gegen die Klippen, der Himmel verfärbte sich schwarz von Schwärmen von Insekten oder gefräßiger Raubvögel. Aber

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