Herr der Schlangeninsel
Karl, „du hast
vergessen, was uns erwartet: heiße Schatzsuche auf der Schlangeninsel
Tykopulos.“
„Ach was!“ Klößchen, der hinter Gaby in
dritter Position fuhr, war krebsrot im Gesicht — teils vor Zorn, teils vor
Hitze. „Die Suche überlasse ich euch. Ich bin der Finanzier (Geldgeber). Mit meinem Geld haben wir die Nutzungsrechte am Henkelmair-Schatzplatz
erworben. Ich hab’s nicht nötig, auch noch den Rücken krummzumachen — in
tropischer Hitze!“
„Hört euch diesen Kapitalistensohn an!“
lachte Karl. „Andere sollen die Arbeit machen, aber den Gewinn will er
abschöpfen. Das ist eine veraltete Arbeitsteilung, Willi, und nichts für die
TKKG-Bande. Bei uns setzt sich jeder ein — egal, ob es heiß ist.“
Tim achtete auf den Plastikbeutel, der
an seinem Lenker hing.
Er enthielt einen Schnellhefter mit
Lose-Blatt-Sammlung. Das waren Zeichnungen und Erläuterungen fortgeschrittener
und schwierigster Kung Fu-Übungen, einschließlich der Konzentrations- und
Atemtechniken.
Tim hatte dieses wertvolle Lehrmaterial
von Chung Cheok Li leihweise erhalten und sich Fotokopien davon angefertigt.
Die Originale wollte er dem Chinesen nun zurückgeben.
Es war früher Nachmittag. Gott sei Dank
wieder ein Vormittag weniger, der noch vom Abflug trennte. Die TKKG-Bande
konnte den Termin kaum erwarten. Alle vier liebten die griechischen Inseln.
Weil im Feriendorf ,Faul-und-Froh’ allerbeste Betreuung — besonders für
alleinreisende Kinder und Jugendliche — garantiert war, hatten sämtliche
TKKG-Eltern dem gemeinsamen Urlaub zugestimmt. Freilich nur für zwei Wochen.
Für den Rest der Ferien meldeten Glockners, Sauerlichs, Viersteins und Tims
Mutter Ansprüche an — auf ihre Nachkommen.
Ist schon albern, dachte Tim. Jede
Pause und jede Freistunde verbringen wir damit, uns den Urlaubsprospekt
anzusehen und Reiseführer zu lesen über Padoklion, über griechische Kultur,
über Sehenswürdiges, über Ausflüge, Sportmöglichkeiten, Küche und Geschichte.
Jeden Namen kennen wir schon. Habe regelrecht das Gefühl, als wäre ich schon
dort gewesen — im Feriendorf, auf der Insel, im kleinen Hafen Dikti Sfakion.
Dem Henkelmair wurde die Insel zum Verhängnis. Aber Pest und Pocken sind längst
besiegt. Was kann uns schon passieren?
„Vier Bikinis müßten eigentlich
reichen“ sagte Gaby plötzlich — und verriet damit, worum ihre Gedanken sich
drehten. „In der heißen Luft trocknet ja alles schnell.“
„Ich nehme drei Badehosen mit“, meinte
Tim. „Eine zum Schwimmen, eine zum Sporteln, eine zum Rumlaufen am Strand. Und
drei Shorts — für Inselbesichtigung und Bummeln im Ort. Willi muß vor allem
genügend Sonnenöl mitnehmen. Sonst sieht er wieder aus wie ein gekochter
Krebs.“
„Ich werde mich überhaupt nicht in die
Sonne legen“, maulte das dicke TKKG-Mitglied. „für Hellhäutige ist das
ungesund. Außerdem haben Finanziers immer eine vornehme Blässe.“
„Weshalb nehmen wir ihn überhaupt mit?“
fragte Gaby. „Weil ich die Nutzungsrechte erworben habe“, rief Klößchen. „Ohne
mich geht gar nichts.“
Tim bog in die Himmelspforten-Gasse
ein.
Chungs Club befand sich in einem alten
Gebäude, flankiert von einer Malerwerkstatt und einem Fotoatelier, in dessen
Schaufenster schon seit Jahren dieselben Porträts ausgestellt waren: von
Leuten, die sich — wie man aus Frisur und Kleidung ersehen konnte — etwa um
1955 hatten ablichten lassen.
Klößchen redet von Nutzungsrechten,
dachte Tim, während er seinen Drahtesel zügelte. Aber leider hat Henkelmair
beim Abzeichnen der Demos-Skizze das Wichtigste vergessen. Das X, die genaue
Markierung östlich des Schlangenhügels. Die Stelle, an der sich die Höhle mit
Murdocks erbeuteten Schätzen befinden soll. Das erschwert die Suche. Und wie!
Henkelmair hatte das X sicherlich im Kopf, wußte die richtige Stelle, zu der er
dann vermutlich nicht mehr gekommen ist. Aber wir tappen im dunkeln, obwohl das
Licht über den griechischen Inseln besonders hell und glasig ist. Wir werden schwer
rackern müssen.
Er sprang vom Rad.
„Sollen wir mitkommen?“ fragte Gaby.
Sie kannte Chung. Der Chinese verehrte
sie und drückte das aus, indem er ihr Papierblumen schenkte und mehr als einmal
gesagt hatte, er wünsche sich eine Tochter wie Gaby.
„Chung freut sich“, sagte Tim, „wenn er
euch sieht.“
„Ich bleibe hier“, verkündete Klößchen.
„Schattiger als vor dieser Mauer ist es im Club bestimmt nicht. Außerdem wird
mir noch
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