Herr der Schlangeninsel
wären wir diesen Verbrechern in die Arme
gelaufen.“
„Daß es nicht so ist“, sagte der
Mickrige, „verdankt ihr mir. Ich habe Instinkt. Als ich sah, wie die beiden
Chinesen auf deine Adresse zusteuern, wußte ich Bescheid. Die Zeit reichte
gerade noch, um euch aus der Wohnung zu holen.“
Nick rieb sich das Kinn. „Wir haben
nichts Wertvolles zurückgelassen. Weder den Jade-Tiger noch unsere Papiere. Nur
deine Klamotten, Antonia, sind noch dort.“
Sie schluchzte. „Nie wieder gehe ich
dorthin zurück. Dieser Xiang-Beutezahn schickt seine Verbrecher nach uns aus.
Du sagst selbst, Nick, die kennen keine Gnade. Woher... woher wissen die meine
Adresse?“
Nick schien mit den Zähnen zu knirschen
und sprach deshalb etwas undeutlich.
Aber Karin erriet, was er sagte, obwohl
sie nicht alle Worte entzifferte.
„Vermutlich... mich... Rik...
verpfiffen. Kriegt... Belohnung... Xiang. Mistkarre!“ - Nein, Mistkerl!
Karin verbesserte sich in Gedanken.
Ihr Gesicht schien zu brennen vor
Aufregung. Was für eine heiße Geschichte wurde ihr da unfreiwillig erzählt? Das
war sensationell.
„Was meinst du, Edgar“, Nick sprach
wieder deutlich, „ziehen wir die Sache trotzdem so durch, wie wir’s vorhaben?“
„Unbedingt.“ Edgar nickte heftig.
Karin fiel auf, daß der mickrige Edgar
zwar einen schäbigen Sommeranzug trug, jedoch am Handgelenk eine sehr teure Uhr
hatte: eine goldene mit echt goldenem Armband. Was das betraf, hatte Karin im
elterlichen Geschäft oft Gelegenheit gehabt, ihren Blick zu schulen. Ohne sich
zu irren, unterschied sie teure Nobeluhren von billigen Kopien (Nachahmungen).
„Ich wette“, sagte Nick, „diese beiden
Schweinehunde sitzen jetzt in Antonias Wohnung und warten auf uns. Klar, die
kriegen doch jede Tür auf, ohne daß man es merkt. Wißt ihr was! Ich rufe dort
an.“
„Meinst du, daß sie den Hörer
abnehmen?“ fragte Edgar.
„Ich denke, ja. Ich sage ihnen, daß sie
dort warten können, bis sie schimmlig werden. Deshalb wäre es klüger, wenn sie
die 300 000 DM rausrücken. Wie verabredet, sollen sie die Knete im Garten des
Hauses Lehmgruben-Weg 14 verstecken: hinter dem Holunder-Strauch an der
Rückseite. Und sobald wir das Geld dort abgeholt haben, kriegen sie den
Jade-Tiger.“
300 000 DM!
Karin glaubte, sich (mund-)verlesen zu
haben.
Aber nein! Das waren Verbrecher. Hier
ging’s um was Außergewöhnliches. Da sind 300 Riesen keine Seltenheit. Um
Himmels willen! Soviel Geld!
Ein warmer Strom schoß ihr durch die
Adern. Ihr Herz schlug wie rasend, und die magere Gestalt bebte.
Ihre Leidenschaft für Geld — besonders
für viel Geld — war angefacht.
Lehmgruben-Weg 14? Karin kannte die
Gegend. Wurden dort nicht die alten, baufälligen Häuser abgerissen, weil ein
Parkplatz entstehen sollte? Aber ja! Also sollten diese geheimnisvollen
Chinesen das Geld hinter einem unbewohnten Haus verstecken. Sehr schlau!
Mal sehen, dachte Karin, wer dann als
erster dort ist.
Nick hatte eine Weile auf der
Unterlippe herumgekaut.
„Hoffentlich“, sagte er jetzt, „haben
die beiden Mistkerle das Geld mit. Ich glaube schon. Xiang-Beutezahn ist
bekannt für seine Taktik. Zuerst versucht er’s immer mit roher Gewalt, mit Brutalität.
Meistens hat er Erfolg damit. Wenn nicht, dann setzt er auch Geld ein, um sein
Ziel zu erreichen. Und was sind schon 300 000 DM für diesen Ober-Ganoven? Jaja,
ich wette. Die beiden Chinesen haben nicht nur Dolche und Totschläger mit,
sondern auch einen Koffer voll Geld — falls sie uns nicht erwischen.“
„Dann ruf an!“ sagte Antonia.
Offenbar war auch bei ihr die Geldgier
stärker als die Angst.
Karin war schon ganz flau. Sie preßte
ihre kleinen Fäuste auf die Schreibunterlage. Hoffentlich hielt ihr Magen diese
Aufregung aus!
Nick trat in eine der Telefonzellen,
wandte der Tür den Rücken zu, nahm den Hörer ab, fütterte den Zahlschlitz mit
Münzen und wählte. Seine Haltung veränderte der Grieche nicht.
Karin beobachtete seinen lockigen
Hinterkopf.
Antonia lehnte sich — neben einer Tafel
mit den neuesten Postwertzeichen — an die Wand und starrte großäugig zu Boden.
Sie trug ein enges weißes Kleid, das sich von oben bis unten durchknöpfen ließ.
Edgar stand neben ihr, grinste
nichtssagend und fummelte an seiner Uhr herum.
Karin blickte wieder auf Nicks
Hinterkopf.
Nein, der Typ redete noch nicht,
horchte nur auf das Freizeichen, wartete.
„Wenn es schiefläuft“, jetzt redete
Edgar, „verschwinden wir von
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