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Herr der Schlangeninsel

Herr der Schlangeninsel

Titel: Herr der Schlangeninsel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Wolf
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das.
Wegen der Sommerhitze gebärdeten sie sich besonders angriffslustig.
    Dort war der Holunderstrauch.
    Er stand dicht an der Rückfront,
kränkelte und hatte schon einen Teil seiner Blätter verloren. Kniehohes Gras
umgab ihn. Leicht konnte man dort einen Koffer verstecken. Aber er war noch
nicht da, wie Karin rasch feststellte. Sie zog sich in den hinteren Teil des
Gartens zurück. Hinter Brennesseln und Sträuchern hockte sie sich auf den
Boden. Vom Haus sah sie jetzt nur noch das Dach. Aber wenn sie sich etwas
reckte, schob sich die gesamt Rückfront ins Blickfeld.
    Einige Minuten vergingen.
    Karin wagte kaum zu atmen.
    Dann hörte sie einen Wagen.
    Er hielt vor dem Haus.
    Türen klappten. Stimmen.
    Der Wagen fuhr ab. Stille.
    Nichts geschah. Fehlanzeige?
    Plötzlich knirschten Schritte auf dem
Schutt.
    Aha! Also doch. Offenbar waren sie mit
dem Taxi gekommen.
    Karin reckte sich.
    Durch Halme und dicht belaubte Zweige
sah sie — zwei Chinesen.
    Sie standen vor der Hintertür und
starrten nach allen Seiten.
    Beide waren groß und wuchtig, hatten
breitflächige, grobe Gesichter und schwarzes Haar, das wie gelackt am Kopf
klebte. Sie trugen helle Sommeranzüge und völlig gleiche Krawatten — blau mit
gelben Streifen. Jener, der den Koffer hielt, hatte zwei Narben im Gesicht,
eine diagonal verlaufend auf der Stirn, die andere auf der Wange.
    Narbengesicht nickte, und der andere
bewegte sich in den Garten hinein.
    Karins Herz setzte für einen Moment
aus.
    Lautlos sank sie zu Boden, preßte sich
fest auf das Gras, begann zu beten und wurde abgelenkt von einem bläulichen
Käfer, der sich für ihre Nase interessierte.
    Gras raschelte. Der Chinese kam näher.
    Ich stelle mich tot, dachte Karin.
    Die Schritte stoppten, ganz nahe.
    Eine rauhe Stimme sagte etwas — auf
chinesisch.
    Bin ich gemeint? dachte das Mädchen.
    Die Schritte entfernten sich. Jetzt
redeten beide am Haus.
    Er hatte sie nicht gesehen.
    Karin horchte, ohne ihre Totenstellung
zu verändern.
    Am Holunderbusch knackten Zweige.
    Dann knirschten abermals Schritte auf
dem Schutt im Flur. Stimmen murmelten. Das Gemurmel wurde schwächer und war
dann nicht mehr zu hören.
    Vorsichtig richtete Karin sich auf.
    Die Chinesen waren weg.
    Sie konnte sehen, daß beim
Holunderstrauch das Gras niedergetrampelt war. Ein abgeknickter Zweig hing
traurig herab.
    Karin rannte los.
    Sicherlich ging es jetzt um Sekunden.
    Jeden Moment konnten Nick, Edgar und
Antonia auftauchen.
    Als sie den Strauch fast erreicht
hatte, stolperten beide Füße über einen Plastiksack.
    Er war leer — einer dieser blauen
Säcke, die mit Müll gefüllt werden. Freilich fehlten an diesem zwei Drittel.
Nur noch das untere war vorhanden.
    Karin zwängte sich hinter den Strauch
und sah den blauen Koffer sofort. Ihre Hände zitterten. Aber sie zerrte ihn
hervor, legte ihn ins Gras. Das Schloß ließ sich öffnen.
    Dann starrte Karin auf die gebündelten
Banknoten. 500-DM-Scheine, Tausender, Hunderter — alles in allem sah’s nach
weniger aus, als sie sich vorgestellt hatte. Aber es waren sicherlich 300 000
DM. Und falls was fehlte — beschweren würde sie sich bestimmt nicht. War doch
dieses Geld wie der sprichwörtliche geschenkte Gaul, dem man nicht ins Maul
schaut.
    Schon wollte sie den Koffer schließen,
als ihr die Idee kam.
    Sie holte den Plastiksack, schüttete
sämtliche Banknoten hinein und stellte den geschlossenen Koffer wieder hinter
den Strauch.
    Mit ihrem Haarband — sie hatte sich
einen dünnen Pferdeschwanz gebunden — verschloß sie den Plastiksack.
    Er hatte jetzt ungefähr das Format
einer großen Einkaufstasche. An der unteren Naht befanden sich zwei kleine
Löcher, aber da konnte nichts durchrutschen.
    Karin lief durch den Flur und äugte auf
die Straße.
    Weit vorn am
Professor-Fluhnbrüster-Platz gingen die beiden Chinesen. Jetzt drehte einer
sich um, und Karin zog rasch den Kopf zurück.
    Als sie zum zweitenmal spähte, waren
die beiden Ganoven hinter dem überdachten U-Bahn-Zugang verschwunden.
    Karin trat auf die Straße.
    Wo blieb das Trio? Hatte es sich
irgendwo versteckt?
    Sie ging langsam, benutzte die
gegenüberliegende Straßenseite und war erst 50 Meter weit, als sie den Wagen
bemerkte, einen hellen Opel.
    Er kam quer über den Huhnbrüster-Platz.
    Karin konnte keinen Insassen erkennen,
fühlte aber mit sicherem Instinkt, wer da anrollte.
    Sofort lief sie in das leerstehende
Haus zu ihrer Rechten, jagte eine einsturzwacklige Treppe hoch, gelangte in
einen

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