Herr der Schlangeninsel
noch weißer als Schimmelkäse. Und an
den Abfallsack klammert sie sich wie an den rettenden Strohhalm.
In diesem Moment kamen Gaby, Karl und
Klößchen um die Ecke, auf ihren Rädern strampelnd. Klößchen zog eine
Schweißspur hinter sich her.
Sie hielten an bei den beiden und
begrüßten Karin.
„Sie ist schon eine Weile hier“, sagte
Tim, „hat aber weder ein Taxi noch die Chinesen oder Nick und Antonia gesehen.
Ob der Taxifahrer sich verhört hat? Der wirkte doch sehr sicher und kein
bißchen schwerhörig.“
„Nummer 14 ist erst dort hinten“, sagte
Gaby.
„So leer und verlassen wie alle anderen
Hütten“, nickte Tim.
„Ich fahr mal hin“, sagte Karl.
Tim überlegte, während er seinem Freund
nachsah. Waren die Chinesen in dem Abbruchhaus?
„Warte, Karl!“ rief er und preschte
hinterher.
Dann, vor dem Haus, entdeckten sie den
leeren Koffer.
Er lag hinter einem Schutthaufen.
Deshalb sahen sie ihn erst jetzt.
Tim hob ihn auf. Das Schloß
funktionierte. Es gab nur zwei Aufkleber. Beide waren gelb.
„Karl, das ist zweifellos der Koffer.
Aber wo ist die Kohle?“
Tim lief in das Haus, sah sich in den
leeren Räumen um und auch im Garten.
Als er zurückkam, waren Gaby, Karin und
auch Klößchen herangerückt. Die Lippenleserin tat das offensichtlich
widerstrebend. Gaby fing Tims Blick auf und schüttelte kaum merklich den Kopf.
Also hatten sie Karin noch nichts erzählt.
Warum fragt sie nicht, überlegte Tim,
was hier gespielt wird? Die benimmt sich, als ob sie alles schon weiß.
Schüchtern ist sie doch sonst nicht — im Gegenteil: aufdringlich und neugierig,
daß man sie wegschubsen muß.
„Wir waren wohl doch nicht schnell
genug“, sagte Karl.
Karin schwieg.
Stirnrunzelnd betrachtete Tim den
abgeschnittenen — oder abgerissenen — Müllsack.
Auch Gaby interessierte sich dafür.
„Hast eine schicke Tasche, Karin“, meinte
sie.
„Die... äh... ach so, der Sack gehört
mir.“
„Niemand will ihn dir wegnehmen“, sagte
Tim.
Dann entstand ein peinliches Schweigen.
Alle, außer Karin, starrten den Sack
an, den sie mit beiden Armen umklammerte.
In dem mageren Gesicht flackerte der Blick.
Karin merkte anscheinend, daß eine Erklärung nötig war.
„Ich... benutze ihn zum Einsammeln“,
verkündete sie. „Da geht ordentlich was rein.“
Tim beugte sich vor und klopfte auf den
unteren, gefüllten Teil.
„Wohl doch Altpapier? Es raschelt.“
„Laß das!“ Sie zuckte zurück.
Aber Tims Hand schnellte abermals vor.
Er griff an den Müllsack wie an ein Kissen, faßte den Inhalt und fühlte ihn
zwischen den Fingern.
„Karin, laß uns mal einen Blick
reinwerfen.“
„Nein!“ Ihre Stimme schrillte.
Tim richtete sich auf aus seiner
vorgebeugten Haltung. „Freunde“, sagte er, „ich glaube, ich habe da eben
gebündeltes Geld gefühlt. Vermutlich 300 000 DM. Ob unsere liebe Karin will
oder nicht — wir sehen uns den Inhalt an. Sollte ich recht haben, wird sie uns
eine Menge erzählen müssen.“
Karins Arme öffneten sich. Der Sack
fiel zu Boden. Mit hängenden Schultern stand sie da. Ein trockenes Schluchzen
kam aus ihrer Kehle. ,
„Warum... seid ihr so gemein? Das Geld
gehört mir.“
„Du willst 300 000 Mark unterschlagen.“
Tim spuckte neben sich. „Das darf doch nicht wahr sein!“
Karl hob den Sack auf, löste das Band
und sah hinein. Dann zeigte er ihn herum.
Karin starrte zu Boden. Sie sah aus,
als brauchte sie Vitamin-Spritzen oder tröstende Worte. Doch im Moment war
weder das eine noch das andere zu haben.
„Mach endlich den Mund auf!“ fuhr Tim
sie an. „Es geht um Verbrechen. Um Kopf und Kragen für einige Beteiligte. Aus
diesem Geldgeschäft, das dank deiner Einmischung geplatzt zu sein scheint, kann
Mord und Totschlag entstehen. Also? Wir hören.“
Karin schluchzte auf. „Na gut“, greinte
sie. „Ich habe ja nichts verbrochen, nur... Das Geld hätte ich abgeliefert.
Bestimmt. Ich bin darauf gestoßen, weil ich im Postamt...“
Dann erzählte sie. Alles.
„Au Backe!“ meinte Klößchen, als sie
fertig war. „Jetzt kommt noch mehr Dampf in den Zoff. Aber das Geld haben wir.“
„Da hast du einerseits was
angerichtet“, sagte Tim zu Karin. „Nick, Antonia und dieser Edgar, von dem wir
noch nichts wußten, fühlen sich betrogen. Die beiden Chinesen auch. Sie werden
mörderisch reagieren, wenn sie trotz erfolgter Zahlung den Jade-Tiger nicht
kriegen. Andererseits ist die Situation für uns gar nicht so übel. Wir begrüßen
es
Weitere Kostenlose Bücher