Herr der Träume
zu sein?« Er grinste und fügte dann hinzu: »Ich weiß es nicht.«
Sie boxte ihn freundschaftlich, und er meinte, sie wäre betrunken.
»Das bin ich nicht«, protestierte sie. »Jedenfalls nicht sehr. Nicht so sehr wie du.«
»Ich halte es dennoch für besser, wenn du einen Arzt aufsuchst – mich zum Beispiel, und zwar jetzt. Gehen wir und machen wir eine Spazierfahrt.«
»Noch nicht, Charlie. Ich möchte sie noch einmal sehen, hm? Bitte.«
»Trinke ich noch mehr, dann bin ich nicht länger imstande, so weit zu sehen.«
»Dann bestelle eine Tasse Kaffee.«
»Bah!«
»Ein Bier.«
»Ich werde leiden, ohne etwas zu trinken.«
Auf der Tanzfläche wurde nun getanzt, aber Renders Beine waren wie aus Blei.
Er zündete sich eine Zigarette an.
»Du hast heute also mit einem Hund gesprochen?«
»Ja. Es war irgendwie unbehaglich.«
»Ist sie hübsch?«
»Es war ein Hundeknabe – und Gott, so häßlich!«
»Ich meine seine Herrin, du Dummkopf.«
»Jill, du weißt, daß ich niemals über Patienten spreche.«
»Du hast mir erzählt, daß sie blind ist, und alles über den Hund. Ich möchte ja bloß wissen, ob sie hübsch ist.«
»Nun ... Ja und nein.« Er stieß sie mit dem Fuß an und machte vage Handbewegungen. »Na, du weißt schon ...«
»Dasselbe noch einmal«, sagte sie zu dem Kellner, der plötzlich an ihrem Tisch aufgetaucht war, bei ihren Worten nickte und ebenso plötzlich wieder verschwand.
»Da entschwinden meine guten Vorsätze«, seufzte Render. »Ich bin neugierig, wie es dir gefällt, von einem Betrunkenen untersucht zu werden. Mehr kann ich dazu nicht sagen.«
»Du wirst rasch wieder nüchtern – wie immer. Eid des Hippokrates und so weiter ...«
Er sog hörbar die Luft durch die Nase und blickte auf seine Uhr. »Ich muß morgen nach Connecticut, um Peter aus der verdammten Schule zu nehmen.«
Sie seufzte und war bereits jetzt des Themas überdrüssig.
»Ich bin der Meinung, du machst dir um ihn zu viele Sorgen. Jedes Kind kann sich den Knöchel brechen. Das gehört zum Erwachsenwerden. Als ich sieben Jahre war, brach ich mir die Hand. Es war ein Unfall. Man kann nicht die Schule dafür verantwortlich machen, wenn so etwas passiert.«
»Zum Teufel«, sagte Render und nahm seinen dunklen Drink von dem dunklen Tablett, das der dunkle Kellner brachte. »Wenn sie ihren Verpflichtungen nicht nachkommen können, so werde ich jemanden finden, der dazu imstande ist.«
Sie zuckte die Achseln.
»Du bist der Boß. Ich weiß nur, was ich in den Zeitungen lese. – Bist du immer noch entschlossen, nach Davos zu fahren, obwohl du weißt, daß man in Sankt Moritz bessere Leute trifft?«
»Vergiß nicht, wir wollen Ski fahren. In Davos gefallen mir die Abfahrten besser.«
»Ich habe heute abend kein Glück, wie es scheint.« Er drückte ihre Hand. »Bei mir hast du immer Glück, Liebling.«
Und sie tranken und rauchten ihre Zigaretten und hielten einander an den Händen, bis die Leute die Tanzfläche verlassen hatten und an ihre winzigen Tische zurückgekehrt waren. Die Farbscheiben rotierten wieder vor dem Scheinwerfer, und der Baß begann: Wumm!
Tschga-tschga!
»Oh, Charlie! Da kommen sie wieder!«
Der Himmel war kristallklar. Die Straßen waren trocken. Es hatte zu schneien aufgehört.
Jills Atemzüge waren tief wie die eines Schlafenden. Der S-7 surrte über die Brücken der Stadt. Wenn Render keinerlei Bewegung machte, so konnte er glauben, nur sein Körper wäre betrunken. Aber bei der kleinsten Bewegung seines Kopfes begann die Welt um ihn zu tanzen. Da stellte er sich vor, sich in einem Traum zu befinden, dessen Schöpfer er war.
Einen Augenblick lang war es so. Er drehte die große Uhr am Himmel zurück und lächelte, als er einschlummerte. Wenige Augenblicke später erwachte er wieder und lächelte nicht länger.
Das Universum hatte sich für seine Anmaßung gerächt. Für die wenigen Sekunden der Glückseligkeit, die er gefühlt hatte, bezahlte er nun wieder mit seiner Vision von dem Autowrack am Grunde des Sees. Als er sich wie ein Schwimmer dem Wrack näherte, ohne sprechen zu können, vernahm er von hoch oben über der Erde das Heulen des Fenriswolfes, wie er sich anschickte, den Mond zu verschlingen. Und er hatte Angst.
Er war ein Hund.
Aber er war kein gewöhnlicher Hund.
Er fuhr allein aufs Land.
Er sah aus wie ein deutscher Schäfer. Er saß auf den Hinterbeinen im Vordersitz und betrachtete durch die Windschutzscheibe die anderen Autos und die Landschaft. Er
Weitere Kostenlose Bücher