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Herr der Träume

Herr der Träume

Titel: Herr der Träume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roger Zelazny
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an.
    »Ja«, antwortete er nach einer langen Pause, »aber es wäre nicht gut. Es würde die Menschen zu einem Leben in der Vergangenheit verführen, einer Zeit, die nicht existiert. Es wäre der geistigen Gesundheit abträglich. Es würde Regression und Reversion fördern und zu einer weiteren Methode der neurotischen Flucht in die Vergangenheit werden.«
    Die Nußknacker-Suite ging zu Ende, und die ersten Töne von Schwanensee durchdrangen den Raum.
    »Dennoch wäre ich gern wieder einmal der Schwan ...«, sagte sie, erhob sich langsam und machte einige schwerfällige Tanzschritte – ein beschwipster Schwan in einem rotbraunen Kleid.
    Dann errötete sie und setzte sich rasch. Sie lachte, und alle fielen ein.
    »Wo würden Sie gern sein?« fragte Minton Heydell.
    Der kleine Arzt lächelte. »Ich möchte gern ein bestimmtes Wochenende des Sommers in meinem dritten Studienjahr erleben«, antwortete er. »Und wie steht es mit dir, Junge?« fragte er Peter.
    »Ich bin noch zu jung, um wertvolle Erinnerungen zu haben«, antwortete Peter. »Und du, Jill?«
    »Ich weiß nicht recht ... Ich glaube, ich möchte wieder ein kleines Mädchen sein, und daß mir mein Vater an einem Sonntagnachmittag im Winter vorliest.«
    Sie warf Render einen Blick zu. »Und du, Charlie? Laß den Fachmann für den Augenblick beiseite. Was würdest du erleben wollen?«
    »Das hier«, antwortete er lächelnd. »Ich bin glücklich, wo ich bin: in der Gegenwart, in die ich gehöre.«
    »Bist du das wirklich?«
    »Ja!« sagte er und schenkte sich Punsch nach.
    Dann lachte er. »Ja, ich bin es wirklich.«
    Neben ihm ertönte ein leises Schnarchen. Bennie war eingeschlafen.
    Und die Musik spielte, und Jill sah von Vater zu Sohn und wieder auf den Vater. Render hatte den Schnellgips wieder an Peters Knöchel befestigt. Der Knabe gähnte. Sie betrachtete ihn. Was würde er in zehn Jahren sein oder in fünfzehn? Ein verbrauchtes Wunderkind? Ein Genie auf einem noch nicht erforschten Gebiet?
    Sie beobachtete Peter, der seinen Vater ansah.
    »Aber es könnte sich zu einer echten Kunstform entwickeln«, sagte Minton, »und ich sehe nicht, wie Zensur ...«
    Sie betrachtete Render.
    »Der Mensch hat nicht das Recht, geistesgestört zu sein«, sagte er, »ebensowenig wie er das Recht hat, Selbstmord zu begehen.«
    Sie berührte ihn an der Hand, und er fuhr zusammen, als hätte man ihn im Schlaf gestört.
    »Ich werde langsam müde«, sagte sie. »Willst du mich nach Hause bringen?«
    »Gleich«, antwortete er und nickte. »Laß Bennie zuerst noch ein wenig schlummern.« Er wandte sich wieder Minton zu.
    Peter sah sie an und lächelte.
    Mit einemmal war sie wirklich sehr müde.
    Früher hatte sie Weihnachten immer gemocht.
    Ihr gegenüber schnarchte Bennie weiter, und hin und wieder huschte ein Lächeln über ihr Gesicht.
    Irgendwo tanzte sie.
     
    Irgendwo schrie ein Mann namens Pierre, wahrscheinlich weil er nicht länger ein Mann namens Pierre war.
     
    Sie kam stets zeitig, trat allein ein und setzte sich immer auf den gleichen Platz.
    Sie saß in der zehnten Reihe gleich neben dem Gang an der Wand, und nur die Pause bereitete ihr ein Problem: sie wußte nie, wenn jemand an ihr vorbei wollte.
    Sie blieb, bis das Theater leer war.
    Sie liebte den Klang einer geschulten Stimme, weshalb sie englische Schauspieler amerikanischen vorzog.
    Sie mochte Musicals, doch nicht sosehr wegen der Musik, sondern wegen der vibrierenden Stimmen. Deswegen mochte sie auch gereimte Stücke.
    Sie trug gefärbte Brillen, jedoch waren sie nicht dunkel. Sie hatte keinen Stock.
    An einem bestimmten Abend durchdrang ein Scheinwerfer die Dunkelheit, ehe der Vorhang zum letzten Akt aufging. Ein Mann trat in den Lichtkegel und fragte: »Ist jemand von den Anwesenden Arzt?«
    Niemand antwortete.
    »Es handelt sich um einen Notfall«, fuhr er fort. »Wenn ein Arzt anwesend ist, so möge er bitte sofort in das Büro in der Haupthalle kommen.«
    Er blickte sich beim Sprechen im Zuschauerraum um, aber niemand rührte sich.
    »Ich danke Ihnen«, sagte er und verließ die Bühne.
    Als der Lichtkreis auf den Vorhang gefallen war, hatte sie ihr Gesicht ihm ruckartig zugewandt.
    Nach dem Intermezzo hob sich der Vorhang, und die Vorstellung nahm ihre Fortsetzung.
    Sie wartete und lauschte. Dann stand sie auf und ging an der Wand entlang, die sie nur hin und wieder mit den Fingerspitzen berührte.
    Als sie in die Halle kam, blieb sie stehen.
    »Kann ich Ihnen helfen, Miß?«
    »Ja, ich suche das

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