Herr der Träume
»aber guter Ton gehört nicht immer zum guten Ton.«
»Wie du es sagst, so klingt es, als wäre jemand jemandem eine Entschuldigung schuldig«, stellte Peter fest.
»Das ist eine Sache, die jeder für sich allein bestimmen muß, sonst ist sie ohne Wert.«
»In diesem Fall habe ich soeben beschlossen, daß ich niemandem eine Entschuldigung schuldig bin. Sollte jedoch jemand mir eine schuldig sein, so nehme ich sie wie ein Gentleman entgegen.«
Render stand auf und blickte auf seinen Sohn hinab. »Peter«, begann er.
»Könnte ich etwas mehr Punsch haben«, unterbrach Jill. »Er ist gut, und meine Tasse ist leer.«
Render streckte seine Hand aus.
»Ich hole ihn«, sagte Peter. Er nahm die Tasse und rührte mit dem Kristallöffel im Punsch. Dann stand er auf und stützte sich mit einem Ellbogen auf die Sessellehne.
»Peter!«
Er glitt aus. Die Tasse fiel mitsamt dem Inhalt auf Jills Schoß. Der Punsch rann in rosa Bächlein über ihren weißen Pelz. Die Tasse rollte bis zum Sofa und blieb inmitten eines sich vergrößernden Flecks liegen.
Peter schrie auf, setzte sich auf den Boden und packte seinen Knöchel.
Der Besucher-Summer ertönte.
Render zitierte einen langen medizinischen Ausdruck auf Latein. Dann bückte er sich und nahm den Fuß seines Sohnes in die eine und den Knöchel in die andere Hand.
»Tut das weh?«
»Ja!«
»Das?«
»Ja, es tut überall weh!«
»Und wie ist es hier?«
»Auf der Seite ... Da!«
Render half ihm auf, stützte ihn, als er auf einem Bein balancierte, und griff nach den Krücken.
»Komm mit. Dr. Heydell hat ein kleines Privatlabor in seiner Wohnung unten. Der Stützgips hat sich gelockert. Ich möchte, daß der Fuß durchleuchtet wird.«
»Nein! Es ist nicht so arg ...«
»Und mein Pelz?« fragte Jill.
Wieder ertönte der Summer.
»Verflucht noch einmal!« schimpfte Render und drückte auf den Sprechknopf. »Ja, wer ist es?«
Man hörte Atemgeräusche, danach: »Äh, ich bin's, Chef. Komme ich ungelegen?«
»Bennie! Nein, hören Sie zu – ich wollte Sie nicht anfauchen, aber hier ist gerade die Hölle los. Kommen Sie herauf. Wenn Sie hier sind, hat sich alles wieder normalisiert.«
»Okay, wenn Sie es sagen. Ich wollte nur auf ein paar Minuten vorbeischauen. Eigentlich bin ich auf dem Weg woanders hin.«
»Schon recht. Ich öffne die Tür.« Er drückte auf den Knopf daneben.
»Du bleibst hier und läßt sie herein, Jill. Wir sind in ein paar Minuten wieder da.«
»Und mein Mantel und das Sofa?«
»Alles zu seiner Zeit. Mach dir keine Gedanken. Komm, Peter.«
Er führte ihn auf den Korridor, von wo aus sie einen Aufzug zum sechsten Stock nahmen. Auf dem Weg hinunter begegneten sie Bennies hinauffahrender Kabine.
Die Tür klickte. Aber bevor er sie öffnete, drückte Render den Stoppknopf. »Peter«, begann er. »Warum benimmst du dich wie ein rotziger Halbwüchsiger?«
Peter rieb sich die Augen. »Was? Ich bin in der Vorpubertät, und was ›rotzig‹ betrifft ...« Er schneuzte sich.
Render hob die Hand, ließ sie dann aber wieder sinken. Er seufzte. »Wir werden uns später darüber unterhalten.«
Er ließ den Halteknopf aus, und die Tür glitt auf.
Dr. Heydells Wohnung lag am Ende des Ganges. Ein großer Kranz aus Mistelzweigen und Tannenzapfen hing an dem Messingklopfer an der Tür.
Render hob den Ring und ließ ihn fallen.
Von drinnen drangen schwach die Töne von Weihnachtsmusik. Nach kurzer Zeit hörte man Schritte von der anderen Seite, und die Tür wurde geöffnet.
Vor ihnen stand Dr. Heydell. Er sah durch dicke Augengläser zu Render hoch.
»Weihnachtssänger«, verkündete er mit tiefer Stimme. »Kommt herein, Charles und ...?«
»Mein Sohn Peter«, stellte Render vor.
»Freut mich, dich zu treffen, Peter«, sagte Heydell. »Kommt herein und nehmt an der Party teil.«
Er öffnete die Tür ganz und trat zur Seite.
Als sie eintraten, erklärte Render den Zweck ihres Kommens: »Wir hatten oben einen kleinen Unfall. Peter hat sich vor kurzem den Knöchel gebrochen und ist soeben wieder darauf gefallen. Ich hätte gern deinen Röntgenapparat verwendet, um ihn zu untersuchen.«
»Aber natürlich. Kommt hier lang. Tut mir leid, das mit dem Unfall.«
Er führte sie durch das Wohnzimmer, in dem sich sieben oder acht Personen aufhielten.
»Frohe Weihnachten!«
»Hallo, Charlie!«
»Frohe Weihnachten, Herr Doktor!«
»Wie steht's mit dem Gehirnwäsche-Geschäft?«
Render hob automatisch eine Hand und nickte nach vier verschiedenen
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