Herr der zwei Welten
interessiert wirklich nur noch deine kleine Sterbliche?! Dein eigenes Leben ist dir in Wirklichkeit doch scheißegal! - Aber mir noch nicht! Verstehst du? Mir gefällt mein teuflisches Leben noch!“
Er hatte seiner Stimme einen ernsthaften Ton verliehen, aber er konnte nicht verhindern, dass ein geradezu breites Grinsen sein Gesicht strahlen ließ.
Der Spanier nickte.
„Ich hatte auch nichts anderes erwartet!“
Er war an die Höhlenöffnung getreten und lugte vorsichtig nach draußen. Die Nacht war vollkommen dunkel. Direkt vor dem Eingang standen Pflanzen, deren riesige Blätter bestens geeignet waren den Eingang blickdicht zu verschließen. Nach wenigen Minuten war die Arbeit getan. Kein Lichtstrahl würde den Weg ins Innere der Höhle finden. Neugierig inspizierten sie danach noch die Räumlichkeiten und warteten auf den Tagesanbruch.
*
In dieser Nacht schlief Julie sehr unruhig. Sie spürte irgendwie, dass etwas geschehen war. Mitten in der Nacht erwachte sie und ihr Herz klopfte so laut, als würde es von etwas anderem angetrieben. Schwer atmend setzte sie sich auf, doch ihre Unruhe wurde nicht weniger. Sie hatte von Eugeñio geträumt; so wie in beinahe jeder Nacht. Doch anders als sonst spürte sie seine Gegenwart auch jetzt noch. Das Gefühl wollte sie nicht verlassen; der Traum wollte sie nicht verlassen! Sie überlegte, versuchte sich diesen Traum ins Gedächtnis zu rufen. Aber Einzelheiten gaben sich nicht Preis. So sehr sie sich auch anstrengte, sie konnte sich nicht erinnern, was genau sie geträumt hatte. Dennoch blieb das Gefühl seiner Gegenwart. Sie wusste, dass sie es nicht mehr schaffen würde einzuschlafen. Sie dachte an Dabal und vermisste hier jemandem, mit dem sie hätte über dieses Gefühl, das wehtat, reden konnte. Doch so jemanden gab es hier nicht. Gedankenverloren trat sie vor die Höhle. Sie bemühte sich leise zu sein, denn sie wollte niemanden wecken. Sie wollte weiter träumen, auch wenn sie nicht schlief. Hier draußen, unter freiem Himmel, konnte sie das tun. Sie blickte hinauf zum Himmel und dachte daran, dass Eugeñio vielleicht gerade jetzt denselben Himmel sah und an sie dachte. Das machte es nicht unbedingt leichter für sie, aber es wäre wenigstens etwas, das sie vereinte. Doch das war Unsinn. Sie besah sich den Himmel und den Mond und sie wusste, dass dies nicht der gleiche Himmel war, den er sehen konnte! Dieser Himmel war ganz anders als der, den sie von der Erde her kannte. Nicht einmal der Mond war derselbe! Trotzdem war ihr dieses Land hier dermaßen zur Heimat geworden, dass sie die Nächte gerne draußen verbrachte. Schon öfters war sie daher nachts aufgestanden und hatte Spaziergänge durch die Dunkelheit unternommen. Diese Spaziergänge wirkten sich positiv und beruhigend auf ihre Nerven aus. Gerade wenn sie sich so fühlte wie heute, gaben sie ihr die Kraft am Morgen wieder fröhlich sein zu können. Sie war dankbar, dass es hier keine Magnetfelder gab, die ihre Spaziergänge einschränkten, so wie im Gelben Land. Außerdem brauchte sie hier niemanden zu fürchten! Sie konnte ganz ohne Angst durch die Dunkelheit laufen. Hier gab es keine Männer, die Frauen auflauerten, um sie zu vergewaltigen. Sie hatte die Nacht nie vergessen, als sie selbst beinahe vergewaltigt worden wäre. Diese Erinnerungen jagten noch immer eiskalte Schauer über ihre Haut. Sie wischte diesen Gedanken energisch beiseite. Sie wollte nicht daran denken, sondern sie wollte ihre Unruhe überwinden.
Die Nächte hier waren angenehm warm. Die Luft roch frisch – manchmal auch sinnlich. Gedankenversunken lief sie durch das nächtliche Grün. Unversehens fühlte sie fremde Gedankenströme durch ihren Kopf jagen! Abrupt blieb sie stehen; sie lauschte in sich hinein. Nein, diese Gedanken konnten unmöglich aus ihrem eigenen Hirn stammen! Unsinn! Julie schüttelte lächelnd ihren Kopf. Wo sonst sollten diese Gedanken herkommen, wenn nicht aus ihrem eigenen Unterbewusstsein? Aber auch dies hatte etwas zu bedeuten! Dabal hatte ihr gezeigt, wie sie auf Träume und Gedanken, die ihr Unterbewusstsein gebar, achten konnte. Lächelnd dachte sie wieder an den Emasca. Nie würde sie diesen einzigartigen Menschen vergessen! Sie hoffte inständig, ihn eines Tages wiedersehen zu dürfen. Julie blieb stehen, atmete tief ein und aus und versuchte das zu tun, was er sie gelehrt hatte. Sie versuchte sich selber loszulassen. So wie Dabal es ihr erklärt hatte, versuchte sie in sich hinein zuhören, anstatt
Weitere Kostenlose Bücher