Herr der zwei Welten
nun eingehender. Plötzlich fiel es ihr wie Schuppen von den Augen! Die Tür! Sie war mit Blättern und Zweigen verschlossen worden. Julie musste Luft holen, was sie so leise wie möglich tat. Sie getraute sich nicht, sich zu bewegen. Konzentriert lauschte sie in die Nacht. Doch so sehr sie sich auch anstrengte, es war kein Laut zu vernehmen. Julie schluckte schwer. Ihre Handflächen fühlten sich plötzlich feucht an. Was hatte das zu bedeuten? Und vor allem, was sollte sie tun? Nun machte sich doch Angst bemerkbar; sie kroch ihr den Rücken rauf, als wäre sie eine kühle Schlange. Sie sollte sofort kehrt machen und versuchen noch die Wohnhöhlen zu erreichen, ehe die finstere Zeit anbrach! Sie sollte die anderen informieren und zusammen mit ihnen die Höhle untersuchen! Doch da war auch Neugierde, die gestillt werden wollte. Julie verfluchte sich selber. Warum nur konnte sie nie vernünftig reagieren? Trotzdem entschloss sie sich, der Sache auf den Grund zu gehen. Vorsichtig pirschte sie sich näher ran. Ob wirklich Fremde dort waren? Wenn ja, was waren das dann für Leute? Vielleicht waren sie, genau wie Julie und ihre Freunde, hier ganz gegen ihren Willen gelandet? Sie blieb noch einmal stehen. Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals. Vielleicht war es doch das Beste, wenn sie jetzt umkehren und die anderen holen würde! Von unschönen Überraschungen hatte sie die Nase voll! Sicherer wäre es dann also, wenn sie Pieter und Dervit zu Hilfe holen würde. Julie drehte sich um und wollte diesen Plan in die Tat umsetzen, aber sie lief nur zwei Schritte, ehe sie wieder stehen blieb. Es war ein Gefühl in ihr, das sie sich nicht erklären konnte. Aber dieses Gefühl sagte ihr, dass sie nicht gehen durfte. Jedenfalls nicht, ehe sie wenigstens versucht hatte, etwas von dem, was in der Höhle vor sich ging, zu erhaschen. Es würde sie sowieso niemand sehen und sie hatte nicht vor, so viel Krach zu machen, dass man drinnen auf sie aufmerksam wurde.
Julie, du bringst dich durch deine verfluchte Neugierde noch in Teufels Küche! Schimpfte sie mit sich, aber schlich sich dennoch wieder näher an die Höhle ran. Wenige Schritte später stand sie direkt vor dem Eingang. Sie hielt den Atem an und versuchte etwas zu hören. Doch drinnen war es mucksmäuschenstill. Zumindest klang kein Laut nach draußen. Aber sie konnte spüren, dass die Höhle nicht leer war. Jemand war da drin! Eigentlich sollte sie nun doch umkehren, dachte sie. Aber dann merkte sie, wie sich ihre Angst langsam sogar legte. Irgendetwas in ihr sagte ihr, dass keine Gefahr drohte. Wie kam sie nur darauf? Sie sollte langsam etwas vernünftiger sein, sagte sie sich. Dennoch ertappte sie sich dabei, wie sie langsam ihre Hand nach den Zweigen ausstreckte.
In der Höhle war ihre Anwesenheit bemerkt worden. Wie zwei Wölfe witterten die beiden Vampire in die Luft und sogen den Duft ein, der ihnen von draußen entgegen wehte. Eugeñio sprang auf, und noch ehe Gaston eine Bewegung mitbekam, war er schon dabei, die selbst gebaute Tür einzureißen.
Für Julie war es unfassbar. Sie bekam kaum etwas mit; hatte nicht mal die Zeit, erschrocken beiseite zu treten. Vollkommen fassungslos starrte sie auf den Eingang der Höhle. Was sie da sah, konnte sie unmöglich glauben! War es Wahrheit? Oder doch nur ein Traum? War sie gar nicht hier bei der Höhle, sondern lag vielleicht noch immer auf ihrem Nachtlager in TsiTsis Höhle?
Ein leiser Aufschrei entwand sich ihrer Kehle, dann warf sie sich nach vorn. Diesmal griffen ihre Hände nicht ins Leere! Sie hielt ihn umklammert; sie spürte ihn mit jeder Faser ihres Seins. Haltlos, wie ein kleines Kind, schluchzte sie an seiner Brust. Aber seine starken Arme hielten sie fest. Gaben ihr Trost. Er roch an ihrem Haar, berührte die weiche Haut an ihrem Hals. Seine Zunge schmeckte ihren Duft. Er glitt weiter, bis sich ihre Münder trafen. Es kam einer inneren Explosion gleich, als sich ihre Zungen begegneten. Er schmeckte das Salz ihrer Tränen. Es war ein Gefühl, als wären sie zusammengeschmolzen, auf immer und ewig!
Gaston, der als stummer Beobachter diese Szene mit ansah, lehnte fassungslos an der Höhlenwand. Trotz der ganzen verrückten Bemühungen erwartete er doch in jedem Moment, dass sich spitze Zähne in den Hals des Mädchens bohrten. Doch nichts dergleichen geschah! Das, was er da staunend beobachtete, war nichts anderes, als das Wiedersehen zweier sich liebenden Menschen. Offensichtlich hatte diese Sterbliche nicht einmal den
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