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Herr der zwei Welten

Herr der zwei Welten

Titel: Herr der zwei Welten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sibylle Meyer
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ihre Gedanken lenken zu wollen. Sie spürte die feuchten, blauen Pflanzen unter ihren Füßen und zog die süße Nachtluft tief in ihre Lungen. Sie hatte die Augen geschlossen und lauschte. Da war es wieder, dieses merkwürdige Gefühl! Unbewusst kehrten ihre Gedanken zu jener Höhle zurück, deren andere Seite sich auf der Erde befand. Dort waren sie angekommen. Seltsam, wieder hatte sie das Gefühl, dass nicht sie es war, die an diese Höhle dachte. Schon lange hatte sie die Höhle nicht mehr besucht und sie hatte auch nicht mehr an sie gedacht. Doch nun sah sie wieder alles deutlich vor sich! Es war so, als wenn ein anderer in diesem Moment die Wände der Höhle untersuchte.
    Julie wusste, dass die Höhle unbewohnt war und dies wohl auch bleiben würde. Keiner der Blauländer würde dort einziehen wollen. Nicht, weil sie dort unnatürliche Vorkommnisse erwarteten, sondern weil diese Höhle einfach nicht dazu geeignet war, einer Familie ein Zuhause zu sein. Die Höhle lag unwirtlich, ihre Wände waren feucht und man konnte sie nicht trockenlegen. Vor allem aber störte, dass dieser Raum rund war. Julie dachte nach. Na gut, gestand sie sich zu, wenn sie schon an die Höhle dachte, dann konnte sie ihr ja einen Besuch abstatten. Sie lag ja nicht wirklich weit entfernt. An Schlafen war in dieser Nacht sowieso nicht mehr zu denken und vielleicht würde es sie ja beruhigen, wenn sie sah, dass in der Höhle alles beim Alten war. Doch als sie weiterlief, stahl sich doch wieder eine vage Hoffnung in ihr Herz. Vielleicht fand sie heute den Ausgang? Vielleicht entdeckte sie heute, wie sie wieder zurück in ihre eigene Welt kommen könnten? Julie schallt sich eine Närrin, denn schließlich hatten sie doch jeden Winkel dieser Höhle genau untersucht. Hier gab es keine Tür, durch die man gehen konnte, die zurückführte! Julie zuckte die Schultern und blieb wieder stehen. Sie schaute an sich hinab. Sie trug nur eine kurze Hose und ein knappes Oberteil, das nicht einmal ihre Schultern bedeckte. Julie lächelte, was machte sie sich Sorgen darüber? Schließlich war sie ja gerade erst aus ihren Schlafdecken gekrochen. Es war nicht kalt und sie fühlte sich wohl. Begegnen würde ihr um diese Zeit auch niemand. Also was soll´s?
    Nach einer knappen Stunde Fußweg tauchte die Höhle in ihrem Blickfeld auf. Ihre Augen hatten sich schon längst an die Dunkelheit gewöhnt, sodass sie jetzt alles ziemlich klar erkennen konnte. Noch war tiefste Nacht, aber mit einem Blick auf den Mond wusste sie, dass er bald untergehen würde. Allerdings hieß das hier nicht, dass die Nacht dann ihrem Ende zuging. Auf der Erde, zumindest in ihrer Heimat, trafen sich Sonne und Mond oft noch am Himmel. Hier aber lagen immer Stunden der tiefsten Dunkelheit zwischen Monduntergang und Sonnenaufgang. In dieser Zeit würden auch ihre, jetzt an die Lichtverhältnisse gewöhnten, Augen nichts mehr erkennen können. Dennoch machte diese Zeit ihr keine Angst mehr. Sie richtete sich einfach darauf ein, diese Zeit dort zu verbringen, wo sie sich gerade aufhielt. So riskierte sie keine Beulen. Sie hatte gelernt, dass die Zeit der tiefsten Dunkelheit sich wunderbar eignete, um zu entspannen. Nichts störte sie dann. Die Welt schlief. Julies Gedanken wanderten zurück in die Zeit, als sie noch neu hier war. Damals hatte sie gedacht, Tag und Nacht würden sich hier in Sekundenschnelle abwechseln. Damals war sie jedes Mal vor Angst gestorben, wenn sie nichts sehen konnte. Für den, der Tag und Nacht nur mit Licht und Dunkelheit verglich, vollzog sich der Wechsel wirklich in rasantem Tempo. Aber hier gab es eben eine Zeit, die für die Einheimischen weder zum Tag noch zur Nacht gehörte. Die Blauländer nannten sie nur die finstere Zeit. In dieser Zeit existierte so gut wie kein sichtbarer Himmel. Kein einziger Stern, kein Mond und keine Wolken, die man beobachten konnte. In den Höhlen herrschten allerdings andere Lichtverhältnisse. Dort hatte man den Eindruck, diese Zeit habe einen dunkelvioletten Glanz. Nach diesen Stunden aber gingen die beiden Sonnen wirklich so unvermittelt auf, dass sie das ganze Land in Sekundenschnelle in helles Licht tauchte. Tief in ihrem Traum versunken bewegte sie sich jetzt wieder in Richtung Höhle. Doch dann wurde ihr Gang wieder langsamer, bis sie schließlich skeptisch zur Höhle starrte. Irgendetwas hatte sich dort verändert! Sie konnte nur nicht sagen, was es war! Sie verhielt sich leise, wagte kaum zu atmen und besah sich die Höhle

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