Herr der zwei Welten
Kälte in ihren Kopf drang. Sie begann zu frieren, aber sie ließ das Wasser weiter über ihre Haare und ihren Kopf laufen. Sie brauchte das jetzt; wenn sie jemals wieder klar denken wollte, musste sie das aushalten. Ganze fünf Minuten ließ sie das immer kühler werdende Wasser über ihren Kopf laufen. Dann war sie genügend durchgefroren. Nachdem sie sich abgetrocknet hatte, zwang sie sich noch einige Atemübungen ab, die sie in ihrem Yogakurs gelernt hatte. Dann ging sie in die Küche. Auf ihrem Küchentisch lagen noch die Zeitungen von drei Tagen. Hastig blätterte sie sie durch. Da! Hier war wieder eine Meldung über eine junge Frau, die in einer anderen Stadt, getötet worden war. Ihr Körper war blutleer, als man sie fand. Julie weigerte sich auch nur zu denken, dass es ihr ausgesaugt worden war. Lange saß sie über diesem Artikel. Las ihn ein ums andere Mal. Die Buchstaben fingen langsam an vor ihren Augen zu verschwimmen. Ihr Kopf nickte auf die Tischplatte. Julie schlief ein. Direkt über der Zeitung. Zwei Stunden später wachte sie erst wieder auf. Sie fühlte sich zerschlagen. Etwa so, als hätte sie zehn Stunden Extremsport hinter sich. Doch sie wunderte sich nicht lange; die Erkenntnisse der letzten Stunden hatten eine harte Belastung für ihre Psyche dargestellt. Die Anstrengungen hatten auch ihren Körper angegriffen. Doch der kurze Schlaf hatte gereicht. Sie war wieder in der Lage klar zu denken. Etwas wurde ihr schlagartig klar: Sie liebte ihn trotzdem! Sie wollte ihn sehen. Ganz gleich, was er ihr erzählt hatte und ganz egal ob das alles der Wahrheit entsprach. Und noch etwas war ihr klar geworden: Es war nicht so, dass ihr ihre Sicherheit nichts bedeutete. Nein, das war nicht der Grund, weshalb sie versuchen würde, seine Warnungen zu ignorieren. Etwas in ihr sagte ihr, dass sie sich nicht in Gefahr befand, wenn sie bei ihm war. Er würde ihr nichts tun! Sie vertraute darauf.
*
Monate später.
Der dunkelblaue Cadillac fuhr in gemäßigtem Tempo, die von Bergen und Wiesen umsäumte Landstraße entlang. Es war ein etwas merkwürdiger Eindruck, den dieser große, amerikanische Wagen in dieser Umgebung machte. Hinter dem Lenkrad grinste Pieter Priest froh vor sich hin. Er war glücklich. Die warme Sommerluft drang durch die geöffneten Seitenfenster und ließ sein Haar spielerisch fliegen. Nun, endlich war der Zeitpunkt gekommen, da er und seine Familie für immer hier bleiben würden!
Pieter war ein US-Amerikaner in den wohl besten Jahren. Sein Haar trug er kurz geschnitten; es war nur leicht von silbernen Strähnchen durchzogen. Dieses leichte Silber war wohl das Einzige, das auf Pieters wirkliches Alter schließen ließ. Sein Gesicht und auch seine Figur wirkten noch durchaus jugendlich. Dennoch war es gerade das Silber in seinem Haar, das ihm selbst am besten gefiel. Pieter war wohl etwas altmodisch darin, wie er einen Mann beurteilte. Denn junge Männer hatten für ihn kein Auftreten, keine Reife; er sah sich selbst gerne als erwachsenen Mann. Auch wenn seine Frau ihn deshalb immer aufzog. Heute war er so glücklich, dass sich beinahe ein leises Summen einstellte. Seine strahlendblauen Augen, die jetzt durch eine dunkle Sonnenbrille verdeckt waren, streiften durch die Gegend, die er so liebte. Pieter war als junger Mann bei der Army verpflichtet gewesen. Als Soldat war er damals hier in Deutschland lange Jahre stationiert gewesen. Damals hatte er es in der Armee zu einigem Status gebracht. Auch privat hatte er sein Leben voll ausgekostet. So gab es auch Feiern, gute Laune und Frauen in seinem Leben. Keine Beziehungen, die von langer Dauer waren, aber dafür waren sie damals ja alle noch zu jung gewesen. Dennoch hatte eine dieser kurzen Beziehungen etwas Bleibendes hervorgebracht. Es war ein Kind entstanden. Trotzdem hielt auch diese Beziehung nicht lange und Pieter musste sich mehr oder weniger aufs Bezahlen der Alimente beschränken. Natürlich konnte er seinen Sohn mehrmals im Monat besuchen, aber eine wirkliche Vater-Sohn-Beziehung entstand dadurch natürlich nicht.
Pieter dachte gerne an diese Zeiten zurück. Damals war Deutschland noch ein geteiltes Land gewesen. Als dann die Wiedervereinigung kam, wurden die Alliierten wieder abgezogen und in ihr eigenes Land zurück beordert. So ging dann auch Pieter wieder zurück in die USA, wo die Familie, in der Nähe von New York ein kleines Landhaus besaß. Pieter erinnerte sich noch genau daran, wie groß seine anfängliche Freude darüber
Weitere Kostenlose Bücher