Herr der zwei Welten
Dort drüben.“ Er hatte sich kurz wieder ihr zugewandt, deutete auf den Sessel, der am entferntesten von ihm stand, und schaute wieder zum Fenster hinaus.
„Siehst du fern?- Julie liest du Zeitungen?“
Seine Stimme war fest; sie klang irgendwie emotionslos. Aber er richtete die Worte an die Nacht, die hinter dem Fenster wartete. Julie spürte, dass er es jetzt nicht wagte, sie auch nur anzusehen.
Julie setzte sich.
„Ich verstehe nicht.“
„Ich meine die Nachrichten.- Weißt du was über die Morde?- Die Morde an den Mädchen. – Weißt du was davon?“
Julie nickte. Sie hatte plötzlich einen Knoten im Hals, ihre Hände waren feucht und sie konnte kaum noch atmen.
Eugeñio fuhr fort:
„Ich habe sie getötet.“
Sein letzter Satz hing wie ein unheilschwangeres Damoklesschwert in der Luft.
„Neiiiin!“
Julie hatte die Hände vors Gesicht geschlagen und schluchzte trocken.
Nein, das kann nicht sein! Wieso? Was meinst Du damit? Du kannst kein Mörder sein! Das geht nicht!
Die Gedanken rasten durch ihren Kopf, aber kein Wort davon verlies ihre Lippen.
Julie hatte die Hände runter genommen und blickte starr zu Eugeñio auf.
„Ja, Julie. Ich bin ihr Mörder. Ich bin der Mann, der sie tötet. Nacht für Nacht – jede Nacht!“
Seine Stimme war ruhig, aber seine Augen verrieten einen Schmerz, der so tief war, wie Julie ihn noch niemals empfunden hatte. Er sah ihr kurz ins Gesicht, dann wandte er sich um und wollte gehen. Julie erwachte aus ihrer Starre.
„Warte!“ rief sie. „Diese Menschen hatten kein Blut mehr. Was machst du damit? Warum tötest Du mich nicht? – Eugeñio, du hast gesagt, du erzählst mir alles. Dann tu das auch!“
Ihre Stimme klang fremd, selbst in ihren eigenen Ohren. Doch sie hielt ihn auf. Er drehte sich noch einmal um. Sein Blick war ruhig. In seinen Augen lag keine Unruhe. Wie konnten diese Augen einem Mörder gehören?
„Ihr Blut! Ja, das ist es. – Ich brauche ihr Blut. – Ich trinke es.- Ich bin ein Vampir.“
Er meinte es ernst. Julie lachte schrill auf. Hielt er sie für verrückt? Oder war er es? Julie sah ihn an, versuchte zu ergründen, was er dachte. Doch dann schüttelte sie entschieden den Kopf.
„Es gibt keine Vampire!“ flüsterte sie.
Doch ganz plötzlich stand er nicht mehr an der Tür. Verwirrt sah Julie auf den leeren Platz. Dann hörte sie ihn sprechen. Er stand am Fenster, genau so, wie vor einigen Minuten.
„So, es gibt sie also nicht? Und wie mache ich dann das? Wie glaubst du, konnte ich immer so schnell verschwinden? Du hast mich nicht einmal gehen gesehen. Ich weiß, dass es so ist. Du hast mich gesucht, damals, als ich dich in der Disco verlassen hatte. Aber du konntest mich nicht mehr finden. Erinnerst du dich?“
All das sagte er in einem Erzählton. Nichts deutete darauf hin, dass er böse war. Julie nickte.
„Vampire bewegen sich schneller als Menschen.“ fuhr er fort. „Kein menschliches Auge kann ihre Bewegungen wahrnehmen. – Das ist eine Sache, die wir können.- Du glaubst mir immer noch nicht?!- Was soll ich tun? Julie, du bist in Gefahr!“ Jetzt hatte sich seine Stimme verändert. Sie klang verzweifelt.
„Jede Sekunde, die du mit mir verbringst, bedeutet für dich Lebensgefahr!- Mein Blutdurst wird dich töten. – Nein, ich weiß, was du denkst. Kein Arzt kann das ändern. Ich bin tot. Seit dreihundert Jahren bereits. – Du wirst mich nicht wieder sehen. Niemals wieder!“
Julie konnte es nicht glauben. Dann hörte sie, wie die Tür ins Schloss fiel. Er war weg.
Das konnte doch nicht sein! Oder etwa doch? Wieso hatte er das mit dem Arzt erwähnt? Genau das waren ihre Gedanken gewesen. Was hatte er ihr alles erzählt, oder war es wirklich eine Beichte? Er war ein Vampir? Ein Untoter? Hatte er all das wirklich behauptet? Als der Schock sich langsam legte, ließ sie alles, was er ihr erzählt hatte, noch einmal durch ihren Kopf gehen. Julie wusste, dass in Zeitungen und auch in Rundfunk- und Fernsehnachrichten immer wieder von blutlosen Leichen berichtet wurde. Da diese Fälle sich eigentlich in weit entfernten Orten zugetragen hatten, hatte sie diese Meldungen anfangs nur überschlagen. Aber dann war die Sache mit der Frau passiert, die Julie beinahe selbst gefunden hätte. Ihr Peiniger vom Campingplatz kam ihr in den Sinn! Nein, das war alles zu viel!
Julie bewegte sich wie unter Zwang und steuerte ihr Badezimmer an. Dort drehte sie das kalte Wasser an und hielt ihren Kopf darunter. Sie spürte, wie die
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