Herr des Chaos
bestehen. Offensichtlich benützte sie einen Ter'Angreal, und das bedeutete, daß sie mit großer Wahrscheinlichkeit eine Aes Sedai war. Egwene kannte nur einen einzigen Ter'Angreal, mit dessen Hilfe man die Welt der Träume betreten konnte, ohne die Macht zu benützen, und der war in Nynaeves und Elaynes Besitz. Die gertenschlanke Frau konnte allerdings noch nicht lange zu den Aes Sedai gehören. Sie war sehr schön, trug ein aufreizend durchscheinendes Kleid und schien etwa gleich alt wie Nynaeve zu sein. Die typische Alterslosigkeit zeigte sich bei ihr noch nicht.
Egwene hätte versuchen können, sie zu verfolgen, da sie möglicherweise zu den Schwarzen Ajah gehörte, denn die hatten Ter'Angreal zum Träumen gestohlen. Aber wenn sie das Risiko recht bedachte, entdeckt, vielleicht sogar gefangen zu werden, obwohl sie nicht einmal irgend jemandem mitteilen konnte, was sie herausgefunden hatte, jedenfalls nicht vor ihrem nächsten offiziellen Gespräch mit Nynaeve und Elayne ... oder falls sie etwas derart Schlimmes entdeckte, daß jede es erfahren mußte... Schließlich gingen die Schwarzen Ajah in erster Linie die Aes Sedai etwas an, ganz abgesehen davon, daß es noch weitere Gründe gab, ihre Geheimnisse zu wahren. Sie hatte gar keine andere Wahl.
Geistesabwesend betrachtete sie die nächstgelegenen Lichtpunkte in der Schwärze. Sie erkannte keinen davon. Sie schwebten völlig unbeweglich in der Dunkelheit schimmernde Sterne, die in klarem, schwarzem Eis eingefroren waren.
In letzter Zeit trieben sich für ihren Geschmack zu viele Fremde in der Welt der Träume herum. Eigentlich nur zwei, aber das waren eben zwei zuviel. Die Frau mit dem kupferfarbenen Teint und eine weitere, eine stämmige, hübsche Frau, die zielbewußt einherschritt, mit blauen Augen und Entschlossenheit in den Zügen. Die entschlossene Frau - so nannte Egwene sie -mußte wohl in der Lage sein, Tel'aran'rhiod aus eigener Kraft zu betreten, denn sie schien aus fester Materie zu bestehen und nicht wie aus Dunst geschnitten, und wer sie auch sein mochte, welcher Grund sie auch hierherführen mochte, sie befand sich öfter in der Burg als Nynaeve und Elayne und Sheriam und der ganze Rest zusammengenommen. Überall tauchte sie auf. Außer in der Burg hatte sie Egwene beinahe bei ihrem letzten Abstecher nach Tear erwischt. Natürlich nicht in einer Nacht, für die ein Treffen angesetzt war. Die Frau war durch das Herz des Steins stolziert und hatte zornige Selbstgespräche geführt. Und sie hatte sich bei Egwenes letzten beiden Abstechern ebenfalls in Caemlyn befunden.
Daß diese Frau den Schwarzen Ajah angehörte, war ebensogut möglich wie bei der anderen, aber sie konnten natürlich auch aus Salidar kommen. Eine, oder auch beide. Egwene hatte sie allerdings noch nie zusammen gesehen oder in Gesellschaft einer anderen aus Salidar. Theoretisch konnten beide auch aus der Burg selbst kommen. Die Spaltung dort war so verworren, daß sehr wohl die eine Seite die andere ausspionieren würde. Früher oder später würden die Aes Sedai der Burg ohnehin von Tel'aran'rhiod erfahren, falls das nicht sowieso schon der Fall gewesen war. Diese beiden Fremden brachten nur endlose Fragen, die unbeantwortet blieben. Egwene blieb nur eines übrig, nämlich, beide zu meiden.
Natürlich bemühte sie sich in letzter Zeit, alle zu meiden, die sich in der Welt der Träume aufhielten. Sie hatte sich angewöhnt, sich häufig umzublicken, weil sie glaubte, jemand schleiche sich hinter ihr an, oder auch Dinge zu sehen, die gar nicht da waren. Sie glaubte, aus den Augenwinkeln Blicke auf Rand, Perrin und sogar Lan erhascht zu haben. Selbstverständlich bildete sie sich das nur ein, oder sie hatte durch puren Zufall ihre Träume einen Augenblick lang berührt, aber sie fühlte sich dadurch so nervös wie eine Katze im Hundezwinger.
Sie runzelte die Stirn - oder besser: sie hätte das getan, hätte sie ein Gesicht besessen. Eines dieser Lichter sah aus wie... Es kam ihr eigentlich gar nicht bekannt vor; sie erkannte es wirklich nicht. Aber es schien ... sie anzulocken. Wohin sie auch blickte, nach ein paar Momenten kehrte ihr Blick zu jenem glitzernden Punkt zurück.
Vielleicht sollte sie erneut versuchen, Salidar zu finden. Das hätte aber bedeutet, daß sie darauf warten mußte, bis Nynaeve und Elayne Tel'aran'rhiod verlassen hatten. Deren Träume erkannte sie natürlich sofort - sie konnte sie im Schlaf finden, wie sie unter lautlosem Kichern feststellte. Doch ein
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