Herr des Chaos
nicht mehr vorhandenen Blumen, war auf der niedrigen Marmortreppe am entfernten Ende des Pfades erschienen, und nun warteten sie vor einem Dutzend kannelierter Säulen, die überhaupt nichts stützten.
»Bis zum Abend, meine Liebe. Dann werden wir weiter über Eure schrecklichen Probleme sprechen und was ich tun kann, Euch zu helfen.«
Er beugte sich über ihre Hand und hielt knapp über dem Handrücken inne, bevor er ihn tatsächlich geküßt hätte, und sie knickste leicht. Sie murmelte dem Anlaß entsprechende Nichtigkeiten und dann rauschte er davon, von allen seinen Lakaien begleitet bis auf einen einzigen. Diesen Rattenschwanz hatte er den ganzen Tag über auf den Fersen.
Als er weg war, wedelte Morgase heftiger mit ihrem Fächer, als in seiner Gegenwart schicklich gewesen wäre. Der Mann tat so, als berühre ihn die Hitze kaum, dabei strömte ihm der Schweiß über das Gesicht. Sie wandte sich wieder ihren Gemächern zu. Ihren - in denen sie stillschweigend geduldet wurde. Auch das hellblaue, lange Kleid, das sie trug, war ein Geschenk. Sie hatte trotz des Wetters auf dem hohen Kragen bestanden, denn was tiefe Ausschnitte betraf, vertrat sie ihre eigenen Ansichten.
Der zurückgebliebene Diener folgte ihr in gebührendem Abstand. Und Tallanvor natürlich auch, wie immer dicht hinter ihr, und dazu hatte er auch noch darauf bestanden, den groben grünen Umhang zu tragen, mit dem er hier angekommen war. Außerdem trug er das Schwert an der Hüfte, als erwarte er einen Angriff mitten im Seranda Palast, keine zwei Meilen von Amador entfernt. Sie bemühte sich, den hochgewachsenen jungen Mann zu ignorieren, aber wie gewöhnlich ließ er das einfach nicht zu.
»Wir hätten nach Ghealdan reiten sollen, Morgase. Nach Jehannah.«
Sie hatte die Zügel zu lange schleifen lassen. Ihr Rock fegte über den Boden, als sie herumwirbelte und ihn mit funkelnden Augen anfuhr: »Während unserer Reise war eine gewisse Verschwiegenheit notwendig, aber alle in unserer Umgebung hier wissen, wer ich bin. Ihr werdet das künftig auch berücksichtigen und Eurer Königin den gebührenden Respekt erweisen. Auf die Knie mit Euch!«
Sie war vollkommen geschockt, als er sich nicht rührte. »Seid Ihr meine Königin, Morgase?« Wenigstens senkte er die Stimme, so daß der Diener nichts verstehen und weiterverbreiten konnte, doch seine Augen... Beinahe wäre sie vor diesem blanken Begehren in seinem Blick zurückgewichen. Und vor seinem Zorn. »Ich werde Euch auf dieser Seite des Todes niemals verlassen, Morgase, aber Ihr habt vieles im Stich gelassen, als Ihr Andor Gaebril überlassen habt. Wenn Ihr das wiederfindet, werde ich zu Euren Füßen knien, und Ihr könnt mir meinetwegen den Kopf abschlagen, doch bis dahin... Wir hätten nach Ghealdan reiten sollen.«
Der junge Narr war willens gewesen, im Kampf gegen den Thronräuber zu sterben, sogar noch, nachdem sie herausgefunden hatte, daß kein Adelshaus in Andor mehr hinter ihr stand. Und als sie sich entschlossen hatte, Hilfe im Ausland zu suchen, war er von Tag zu Tag, von Woche zu Woche unfolgsamer und aufsässiger geworden. Sie könnte Ailron ja um Tallanvors Kopf bitten und ihn auch erhalten, ohne daß ihr Fragen gestellt würden. Doch weil sie als ungebetene Gäste gekommen waren, konnten sie sich keine Gedankenlosigkeiten erlauben. Sie war als Bittstellerin hier und durfte deshalb um keinen einzigen Gefallen mehr bitten, als absolut notwendig. Außerdem würde sie sich ohne Tallanvor gar nicht erst hier befinden. Sie wäre eine Gefangene -schlimmer sogar als eine Gefangene - von Lord Gaebril. Und nur aus diesen Gründen würde Tallanvor seinen Kopf behalten.
Ihr Heer bewachte die kunstvoll geschnitzte Tür zu ihren Gemächern. Basel Gill war ein Mann mit rosigen Wangen und ergrautem Haar, das er - eitel, wie er war - vergeblich über die kahle Stelle auf seinem Kopf zurückgekämmt hatte. Sein Lederwams mit den aufgenähten Stahlplatten spannte sich mächtig um seinen Bauch, und er trug ein Schwert am Gürtel, das er zwanzig Jahre lang nicht mehr angerührt hatte, bevor er es ihr zu Ehren wieder gürtete, um ihr zu dienen. Lamgwin war ein klobiger, harter Mann, dessen schwere Augenlider ständig den Eindruck erweckten, er schlafe. Auch er trug ein Schwert, doch die Narben auf seinem Gesicht und die mehrfach gebrochene Nase machten deutlich, daß er wohl eher gewohnt war, sich mit seinen Fäusten oder einem Knüppel durchzusetzen. Ein Wirt und ein Straßenschläger; von
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