Herr des Chaos
hielt, konnte er nicht umhin. Er las ihn, setzte sich dann auf seinen Umhang und las ihn erneut. Er war sehr kurz gehalten.
Rand,
ich habe Dir meine Gefühle erklärt. Du sollst wissen, daß sie sich nicht geändert haben. Ich hoffe, daß Du für mich empfindest, was ich für Dich empfinde. Min kann Dir helfen, wenn Du ihr nur zuhören willst. Ich liebe sie wie eine Schwester und hoffe, daß Du sie genauso liebst wie ich.
Elayne Ihr mußte die Tinte ausgegangen sein, denn die letzten Zeilen waren eilig dahingekritzelt und nicht mehr so zierlich geschrieben wie der Anfang. Min hatte sich herangestohlen und den Kopf gedreht und versucht, den Brief zu lesen, ohne daß es zu offensichtlich wurde, aber als er sich schließlich erhob, um den Umhang unter sich hervorzuziehen -das Angreal in Form eines fetten kleinen Mannes steckte in der Tasche -, hastete sie wieder rückwärts. »Versuchen Frauen alle, einen Mann in den Wahnsinn zu treiben?« murrte er. »Was!«
Er starrte auf den Brief, während er halbwegs zu sich selbst sprach. »Elayne ist so schön, daß ich sie ansehen muß, aber die Hälfte der Zeit weiß ich nicht, ob sie will, daß ich sie küsse oder daß ich mich vor ihr hinknie. Um die Wahrheit zu sagen, wollte ich mich manchmal vor ihr hinknien ... um sie anzubeten, das Licht helfe mir. Sie schreibt, ich wüßte, wie sie empfindet. Sie hat mir schon vorher zwei Briefe geschickt, einer voller Liebesbezeugungen und der andere mit dem Inhalt, daß sie mich niemals Wiedersehen wollte. Wie oft habe ich dagesessen und mir gewünscht, der erste wäre die Wahrheit und der zweite ein Scherz oder Versehen oder... Und Aviendha. Sie ist auch wunderschön, aber jeder Tag mit ihr war ein Kampf. Von ihr bekomme ich keine Küsse mehr, und sie läßt keinen Zweifel darüber, wie sie mir gegenüber empfindet. Sie war sogar glücklicher darüber, von mir fortzukommen, als ich darüber, sie gehen zu sehen. Aber ich erwarte sie zu sehen, wenn ich mich umdrehe, und wenn sie nicht da ist, ist es, als fehle in mir etwas. Ich vermisse den Kampf tatsächlich, und es gibt Momente, in denen ich mich bei dem Gedanken ertappe, daß es ›Dinge gibt, die des Kämpfens wert sind‹.« Etwas an Mins Schweigen ließ ihn aufschauen. Sie sah ihn so ausdruckslos an wie eine Aes Sedai.
»Hat dir niemand jemals beigebracht, daß es unhöflich ist, einer Frau gegenüber von einer anderen Frau zu sprechen?« Ihre Stimme klang vollkommen tonlos. »Und noch viel weniger von zwei Frauen.«
»Min, du bist eine Freundin«, protestierte er. »Ich sehe dich nicht als Frau an.« Es war falsch, das zu sagen. Er wußte es, sobald er es ausgesprochen hatte.
»So?« Sie schlug ihren Umhang zurück und stemmte die Hände in die Hüften. Es war nicht die nur zu vertraute verärgerte Pose. Ihre Handgelenke waren gedreht, so daß die Finger nach oben zeigten, und das machte es irgendwie anders. Sie stand mit einem gebeugten Knie da, und das... Er sah sie zum ersten Mal wirklich. Nicht einfach Min, sondern so, wie sie aussah. Nicht in der üblichen einfachen braunen Jacke und Hose, sondern in Hellrot und mit Stickereien an der Kleidung. Nicht mit dem üblichen grobgeschnittenen Haar, das kaum ihre Ohren bedeckte, sondern mit Locken, die bis in den Nacken reichten. »Sehe ich wie ein Junge aus?«
»Min, ich... «
»Sehe ich wie ein Mann aus? Oder wie ein Pferd?« Sie erreichte ihn mit einem schnellen Schritt und setzte sich auf seinen Schoß.
»Min«, keuchte er erschrocken, »was tust du?«
»Dich davon überzeugen, daß ich eine Frau bin, Wollkopf. Sehe ich nicht wie eine Frau aus? Rieche ich nicht wie eine Frau?« Sie duftete schwach nach Blumen, jetzt, wo er es bemerkte. »Fühle ich mich nicht...? Nun, genug davon. Beantwortet die Frage, Schafhirte.«
Es waren die Worte ›Schafhirte‹ und ›Wollkopf‹, die ihn beruhigten. Die Wahrheit war, daß sie sich auf seinem Schoß bemerkenswert gut anfühlte. Aber sie war Min, die ihn für einen unvernünftigen Jungen vom Lande mit Heu im Haar hielt. »Licht, Min, ich weiß, daß du eine Frau bist. Ich wollte dich nicht beleidigen. Und du bist auch eine Freundin. Ich fühle mich einfach in deiner Gesellschaft wohl. Bei dir ist es egal, wenn ich mich zum Narren mache. Ich kann dir Dinge sagen, die ich niemandem sonst sagen würde, nicht einmal Mat oder Perrin. Wenn ich mit dir zusammen bin, löst sich alles. Ich spüre die Angespanntheit meiner Schultern nicht einmal mehr, bis sie vergeht. Verstehst du, Min?
Weitere Kostenlose Bücher