Herr des Chaos
dem Weg nach Caemlyn befand, anstatt ihn zweifelnd oder mit einem Blick, mit dem man einen Lügner bedachte, anzusehen, wäre er genauso überglücklich gewesen, Min zu sehen.
Als er sie wieder auf den Boden stellte, sank sie an seine Brust, umfaßte seine Arme und atmete schwer. »Es tut mir leid«, sagte er. »Ich wollte nicht, daß dir schwindelig wird. Es ist nur so, daß ich wirklich froh bin, dich zu sehen.«
»Nun, mir ist schwindelig, du wollköpfiger Schafhirte«, murmelte sie an seiner Brust. Dann trat sie zurück und sah ihn unter langen Wimpern hervor an. »Ich habe einen sehr langen Ritt hinter mir. Ich bin mitten in der Nacht angekommen, und du wirbelst mich herum wie einen Sack Hafer. Hast du niemals Manieren gelernt?«
»Wollkopf«, sagte er leise lachend. »Min, du kannst mich einen Lügner nennen, aber ich habe es tatsächlich vermißt, nicht mehr diese Bezeichnung zu hören.« Sie bezeichnete ihn jetzt als gar nichts mehr. Sie sah ihn nur an, und das Funkeln war vollkommen vergangen. Ihre Wimpern schienen länger, als er sie in Erinnerung hatte.
Als ihm bewußt wurde, wo sie sich befanden, nahm er ihre Hand. Ein Thronraum war kein geeigneter Ort, um alten Freunden zu begegnen. »Komm mit, Min. Wir können in meinem Wohnraum einen Becher gewürzten Wein nehmen. Somara, ich gehe in meine Räume. Ihr könnt alle fortschicken.«
Somara schien nicht glücklich darüber, aber sie entließ alle Töchter des Speers bis auf Enaila. Somara und Enaila wirkten ein wenig verdrießlich, was er nicht verstand. Er hatte Somara zunächst erlaubt, so viele Töchter des Speers im Palast zu versammeln, weil Cyelin und die anderen kamen. Bashere befand sich aus demselben Grund in seinem Reiterlager nördlich der Stadt. Die Töchter des Speers als Erinnerung, Bashere, weil es zu viele Erinnerungen geben konnte. Er hoffte, daß die beiden Töchter des Speers nicht vorhatten, ihn zu bemuttern. Sie wechselten sich im Übermaß als seine Wächter ab, wie ihm schien, aber Nandera war genauso unnachgiebig, wie Sulin es gewesen war, als er bestimmt hatte, wer im einzelnen was tun sollte. Er konnte Far Dareis Mai befehligen, aber er war keine Tochter des Speers, so daß ihn das andere nichts anging.
Min betrachtete die Wandteppiche, während er sie an der Hand den Gang entlangführte. Sie bemerkte kostbare Truhen und Tische, goldene Schalen und in Nischen hohe Vasen aus Meervolk-Porzellan. Sie begutachtete Enaila und Somara drei Mal von Kopf bis Fuß. Aber sie sah Rand weder an, noch richtete sie ein Wort an ihn. Seine Hand umschlang ihre, und er konnte den rasenden Puls an ihrem Handgelenk spüren. Er hoffte, daß sie nicht wirklich verärgert darüber war, daß er sie herumgewirbelt hatte.
Zu seiner großen Erleichterung nahmen Somara und Enaila ihre Plätze zu beiden Seiten seiner Tür ein, obwohl sie ihn fragend ansahen, als er um gewürzten Wein bat und er seinen Wunsch noch einmal wiederholen mußte. Im Wohnraum zog er den Umhang aus und warf ihn über einen Stuhl. »Setz dich, Min. Setz dich. Ruh dich aus und entspanne dich. Der Wein wird gleich kommen. Du mußt mir alles erzählen. Wo du gewesen bist, wie du hierhergelangt bist, warum du in der Nacht angekommen bist. Es ist nicht ungefährlich, nachts zu reisen, Min. Jetzt weniger denn je. Ich werde dir die schönsten Räume im Palast - nun, die zweitschönsten, da dies die schönsten sind - und eine Aiel-Eskorte zuweisen, die dich überall hinbringen kann. Und wehe dem, der dir nicht aus dem Weg geht.«
Während sie dort an der Tür stand, dachte sie einen Moment, sie müßte lachen, aber statt dessen atmete sie tief ein und nahm einen Brief aus ihrer Tasche. »Ich kann dir nicht sagen, wo ich hergekommen bin -ich habe es versprochen, Rand -, aber Elayne befindet sich dort, und...«
»Salidar«, sagte er und lächelte darüber, daß sich ihre Augen weiteten. »Ich weiß ein paar Dinge, Min. Vielleicht mehr, als manche Menschen glauben.«
»Ich ... merke, daß du das tust«, sagte sie schwach. Sie übergab ihm den Brief und trat dann wieder zurück. Ihre Stimme klang wieder fester, als sie hinzufügte: »Ich habe geschworen, daß ich ihn dir sofort übergeben würde. Also lies ihn schon.«
Er erkannte das Siegel, eine Lilie in dunkelgelbem Wachs, und er erkannte bei seinem Namen Elaynes flüssige Handschrift und zögerte, bevor er den Brief öffnete. Klare Brüche waren das beste, und er hatte einen solchen Bruch vollzogen, aber da er den Brief in Händen
Weitere Kostenlose Bücher