Herr: Die Schattenherren 3 (German Edition)
ihm auf.
Er konnte nicht widerstehen. Er schloss die Lider und rief ihre Essenz.
Da war mehr als ihre jugendliche Reinheit. Etwas, das er ebenfalls noch nicht geschmeckt hatte. Sicher, sie verehrte ihn und sie hatte Angst. Das war verständlich nach dem, was sie erlebt und nach der Vorbereitung, die sie zweifelsohne von Jittara erhalten hatte. Aber da war auch …
Er nahm einen tiefen Zug.
… Neugierde. Nicht das Streben nach Wissen, wie es einen Scholaren oder Kleriker prägte, der sich immer tiefer in ein Gebiet hineingrub. Es war das kindliche Verlangen, etwas über das Leben da draußen zu erfahren. Diese Regung hatte einst auch Bren erfasst, als er zu seinem Vater gekommen war. Er hatte wenig davon gewusst, was man mit einem Schwert machen konnte, aber die Stahlklinge, die leise sang, wenn man sie aus der Scheide zog, oder die andächtige Art, wie sein Vater die Waffe gehalten hatte – diese Eindrücke waren für ihn Verheißungen gewesen. Wie ein Lichtspalt, der unter einer Tür hindurchschien, hinter der Unbekanntes zugleich drohte und lockte.
Bei Siérce war es kein Licht, sondern die Dunkelheit der Schatten, der sie nicht widerstehen konnte. Was immer sie sich einredete, in Wahrheit konnte sie nicht ertragen, dass diese finstere Pracht ein Geheimnis für sie war. Auch Neid war dabei, Neid auf die Ondrier. Nicht auf die Stärke ihrer Truppen, sondern auf die Kenntnis von den dunklen Fundamenten der Welt, mit der sie aufgewachsen waren, während man Siérce ihr Leben lang getäuscht hatte.
Wieder atmete Bren.
Er konnte Siérces Gedanken nicht hören, aber ihr Empfinden war so ohne jede Verstellung, dass seine Vermutungen nicht gänzlich falsch sein konnten. Sie hasste, aber nicht Bren, noch nicht einmal die Ondrier, deren Stiefel Ilyjia in den Schlamm traten. Der Hass war mit Enttäuschung verbunden. Wahrscheinlich richtete er sich gegen ihre Lehrer, gegen die Höflinge, die sie erzogen hatten. Wie erklärte man die Welt einer Königin, die beinahe noch ein Kind war? Sicher hatten sie die Macht Ondriens heruntergespielt, zumal es seit dem Silberkrieg keine echte Schlacht mehr gegen die Schattenherren gegeben hatte.
Aber Neid und Enttäuschung interessierten Bren nicht. Er hatte sie schon oft geschmeckt. Das Neue, Unwiderstehliche an Siérce war die Frische, dieser Verstand, der trotz des Schrecklichen der vergangenen Wochen hoffnungsvoll der Zukunft entgegeneilte. Bren schwelgte in diesem Frohsinn. Siérce war tatsächlich glücklich, bei ihm zu sein. Sie hatte das Gefühl, etwas geschafft zu haben, weil sie zu ihm vorgedrungen war und ihn dazu gebracht hatte, von ihr zu nehmen.
Er hörte ihren Körper wimmern, aber zugleich warf sich ihr Geist ihm noch stärker entgegen. Bren war verloren wie ein Mann, der von einer geschickten Hure aufgestachelt wurde, sodass seine Lust alle Vernunft fortspülte. Er sog den Entdeckerdrang in sich hinein, den Lebenswillen, diese brennende Fackel, die sich von keinen Widrigkeiten ersticken ließ. Bren hatte seine Geliebte verloren, aber Siérce wurde Zeugin des Todeskampfes ihres gesamten Reiches, dessen Hauptstadt nun von den Karten radiert werden musste. Dennoch strebte sie der Zukunft entgegen, und das auch noch voller Zuversicht! Bren verlor sich in einem Taumel von ungerichtetem Tatendrang, in dem die Schatten eine vage Rolle spielten. Siérce verband unergründete Möglichkeiten mit der Finsternis, und Bren fühlte sich als Teil von dieser urgewaltigen Kraft.
Irgendwann wankte er zurück, fiel auf das Bett, wo er heftig atmend liegen blieb und dem versiegten Strom der Lebenskraft nachschmeckte. In den Ellbogen, an den Fußsohlen, an einer Stelle seines Rückens fühlte er noch das Kribbeln der Essenz, bis es sich auch dort verlor.
»Schade«, sagte Jittara. »Ich hätte sie gern ausgebildet. Sie hat mir gefallen. Vielleicht hätte sie es bis zur Dunkelruferin gebracht.«
Bren setzte sich auf.
Siérce lag verdreht auf dem Boden. Dass es sich bei dem Körper mit der aschgrauen, faltigen, blutüberströmten Haut um die Königin handelte, erkannte Bren nur an ihrem Kleid. Diese Leiche hatte keine Ähnlichkeit mit der Vierzehnjährigen, die sein Zelt betreten hatte.
»Ihr seht schon viel besser aus, Herr«, meinte Quinné.
Verständnislos sah er sie an, bevor er aufstand und zu der Toten ging. »War ich das?«, fragte er und war sich sogleich bewusst, wie blöde das klang.
Jittara ersparte ihm die Antwort. »Ich lasse sie fortschaffen. Wir müssen uns
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