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Herr Lehmann

Herr Lehmann

Titel: Herr Lehmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sven Regener
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und versuchte sich zu erinnern, wann er das letzte Mal gedacht hatte, es war nicht lange her, da war er sich sicher, es hatte irgend etwas mit Katrin zu tun gehabt, aber das ist jetzt leider auch egal, dachte er. Er saß am Tresen und trank eine Flasche Maibock. Wieso sie im Spätherbst Maibock am Start hatten, war ihm nicht ganz klar, der Mann am Tresen hatte etwas von Sonderangebot gesagt, Herr Lehmann hatte es eigentlich nur wegen der Abwechslung genommen, denn Herr Lehmann mochte kein Maibock. Das ist Mistzeug, dachte er, während er es trank, das geht nur zäh runter, wenigstens hat es ein paar Umdrehungen mehr, dachte er, das bringt einen weiter, und dann dachte er kurz darüber nach, ob es nicht möglich war, sich so zu besaufen, daß sie ihn irgendwann ins Urbankrankenhaus bringen müßten, und dann würde er morgen vielleicht in Station 7 neben Karl aufwachen. Na, dachte er, das wäre mal echte Solidarität.
    Plötzlich war Heiko neben ihm. “Hallo Frank”, sagte er.
    “ Hallo Heiko. Was machst du denn hier?”
    “Keine Ahnung. Ich war eben noch im Dick, aber da war nichts los. Außerdem kann ich das schwule Elend hier in Kreuzberg nicht mehr ertragen.”
    “Das Hetero-Elend sieht nicht viel besser aus”, sagte Herr Lehmann und schaute über die Schulter in den Kneipenraum. Es saßen nur ein paar trübe Gestalten herum und schauten in ihre Getränke. “Naja”, sagte er, es ist ja noch früh.”
    “Stimmt. Wie geht’s Karl?”
    “Woher weißt du das denn?”
    “Darüber reden die doch alle. Vorhin hat mich Heidi angerufen und mir alles erzählt.”
    “Typisch Heidi”, sagte Herr Lehmann ärgerlich. “Die soll mal schön nach Bali fahren.”
    “Wie geht’s ihm denn?”
    “Ganz gut. Schläft.”
    “Schläft? Das ist wahrscheinlich auch mal besser. Der ist ganz schön versumpft in letzter Zeit.”
    “Ja.”
    “Was will er denn jetzt machen, wo er nicht mehr bei Erwin arbeiten kann?”
    “Was weiß ich, mal sehen”, sagte Herr Lehmann. “Kunst.”
    “Ja.”
    “Ja.”
    Sie bekamen beide ein neues Bier und stießen an.
    “Hast du heute nicht Geburtstag?”
    Herr Lehmann blickte Heiko an. Das wunderte ihn nun doch, daß Heiko seinen Geburtstag wußte. Es kann ja sein, dachte Herr Lehmann, daß wir uns irgendwann mal darüber unterhalten haben, aber daß er sich so was merkt … Und er freute sich darüber. Heiko ist überhaupt der einzige von der ganzen Bande, dachte er, den man an so einem Abend ertragen kann.
    “Ja.”
    “Hat mir Heidi erzählt. Herzlichen Glückwunsch. Wie alt bist du denn geworden?”
    “Dreißig.”
    “Dreißig? Das müßte man doch dick feiern.”
    “Oh”, sagte Herr Lehmann, “bitte nicht.”
    “Schon gut.”
    “Weißt du”, sagte Herr Lehmann, “es gibt da einen Film, so aus den 70ern oder so, da sind diese Leute in der Zukunft, und die leben unter so einer Kuppel oder unter der Erde oder so, und immer, wenn einer ein bestimmtes Alter erreicht hat, muß er in die Erneuerung, so nennen sie das. In Wirklichkeit werden die bloß umgebracht, aber sie müssen in die Erneuerung, ob sie wollen oder nicht. Und alle glauben, das ist normal.”
    “Kenn ich, den Film. Der Sandmann oder so. Hab ich früher mal im Westfernsehen gesehen, als ich noch im Osten war. Ist mit Michael York.”
    “Ja, jedenfalls denken die alle, das muß so sein, die denken, älter kann man gar nicht werden, die haben noch nie einen alten Mann gesehen. Und dann schaffen es zwei doch irgendwie raus …”
    “Michael York und die andere, da weiß ich den Namen nicht.”
    “Genau, und dann treffen die da einen alten Mann und können es gar nicht fassen.”
    “Peter Ustinov, glaube ich.”
    “Genau.”
    “Ja und?”
    “Wie?”
    “Was willst du jetzt damit sagen?”
    “Naja, was weiß ich, irgendwie kommt mir das hier auch so vor.”
    “Also an alten Leuten ist hier wohl kein Mangel.”
    “Nein, das wohl nicht. Aber irgendwie habe ich immer das Gefühl, ich müßte mal in die Erneuerung.”
    Heiko lachte. “Das ist gut. Du mußt in die Erneuerung. Ich habe eine Single zu Hause, die gibt’s nur ein paar Mal, das war so ‘ne Eigenproduktion, die hat ein Freund von mir mit einem anderen gemacht, da war ein Lied drauf: Die Wichtung. Da singt der immer: Sie müssen mal Ihre Wichtung erneuern.”
    “Das ist auch nicht schlecht.”
    “Ich würde mir nicht zu viele Gedanken darüber machen, Herr Lehmann.”
    “Frank.”
    “Entschuldigung, Frank. Darüber würde ich mir nicht zu viele

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