Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Herr Lehmann

Herr Lehmann

Titel: Herr Lehmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sven Regener
Vom Netzwerk:
Gedanken machen. Vielleicht kommt die Erneuerung von ganz allein. Kommt Zeit, kommt Rat, kommt Attentat.”
    “Wo hast du das denn her?”
    “Steht da drüben irgendwo an der Hauswand, geh ich oft vorbei.”
    “Naja, mal sehen.”
    “Das kommt alles, wie es kommen muß.”
    “Ich glaube, man sollte mal woanders hingehen. Das geht mir hier alles irgendwie auf den Zeiger.”
    “Gute Idee.”
    “Aber in keinen von Erwins Läden. Ich kann die Penner gerade alle nicht sehen.”
    “Ich auch nicht.”
    “Wir können ja in die Kaffeebar gehen.”
    Heiko verzog das Gesicht. “Das ist ein Scheißladen, Herr Lehmann. Nichts ist so schlimm wie Kneipen von ehemaligen Besetzern.”
    “Ja, das sind alles Scheißläden.”
    “Ich kann diese autonomen Arschlöcher nicht ertragen.”
    “Dann laß uns hier noch einen nehmen. Aber dann sollte man sich an den Tisch setzen”, schlug Herr Lehmann vor. “Ich krieg’s neuerdings immer mit dem Rücken.”
    “Du arbeitest zuviel.”
    “Was soll ich sonst machen?”
    “Du solltest mal Urlaub machen. Mach doch mal Urlaub. Mit Karl, der braucht das auch.”
    “Oh ja”, sagte Herr Lehmann, “der braucht das dringend. Vielleicht soll ten wir nach Herford fahren.”
    “Sag mal, ist irgendwas?”
    “Nein, warum?”
    “Du hast irgendwie so was Bitteres. Du läßt dich doch von dieser Dreißigwerdenscheiße nicht fertigmachen, oder?”
    “Nix.”
    “Dann ist ja gut.”
    Zwei Stunden später verließen sie dann doch den Elefanten. Es reichte, und sie waren betrunken und bereit für die Kaffeebar. “Ich brauch jetzt was Perverses”, sagte Heiko.
    Die Kaffeebar war in der Manteuffelstraße. Früher war es eine kleine Bar gewesen, nicht größer als ein Wohnzimmer und ebenso eingerichtet, seltsam zwar, aber irgendwie nett, wenn man die Leute kannte. Heute war es ein Riesending, die Hausbesitzer waren zu Geld gekommen und hatten im Rahmen ihrer Haussanierung auch gleich die Kneipe ausgebaut. Sie setzten sich an die Bar und betrachteten das Treiben der zumeist männlichen Gäste, von denen viele Stiefel trugen und Bundeswehrhosen, was Herrn Lehmann unangenehm an seine Dienstzeit erinnerte.
    “Das sind mal so richtige Hetero-Rabauken”, sagte Heiko amüsiert, “so richtige Antifa-Deppen, Mannomann, ich glaub, ich muß kotzen.”
    “So schlimm ist das auch wieder nicht”, beschwichtigte Herr Lehmann, dem schon alles egal war.
    “Seit wann bist du denn so liberal drauf?”
    “Naja, wenigstens ist Kristall-Rainer nicht hier.”
    “Ach der … Ich wollte ja nicht fragen, aber ist da nichts mehr mit dir und Katrin?”
    “Nix.”
    “Hat mir Heidi auch noch erzählt. Mannomann, ist das deprimierend.”
    “Ja.”
    So ging das immer weiter. Gegen eins kam dann jemand herein, stellte sich neben die beiden an den Tresen und bestellte ein Bier.
    “Hast du schon gehört?” fragte er den Mann hinter der Bar.
    “Was denn?”
    “Die Mauer ist offen.”
    “Was ist?”
    “Die Mauer ist offen.”
    “Ach du Scheiße.”
    “Hast du gehört?” fragte Herr Lehmann, der jetzt ziemlich betrunken war.
    “Was denn?” fragte Heiko, der schon Anzeichen machte, wegzunicken.
    “Die Mauer ist offen.”
    “Ach du Scheiße.”
    “Hör mal, Heiko, schließlich bist du selber aus dem Osten.”
    “Das geht mir schon seit Wochen auf die Nerven. Immer, wenn ich den Fernseher anmache: Osten, Osten, Osten. Was kann ich dafür, daß ich aus dem Osten komme? Was meinst du, wie das da war mit den Arschlöchern? Als Schwuler im Osten, das ist der letzte Scheiß. Die Mauer ist offen, was soll das überhaupt heißen, die Mauer ist offen. Der Arsch ist offen.”
    Herr Lehmann guckte sich um. Der Barmann erzählte es anderen Leuten, und die Sache schien sich herumzusprechen. Es gab aber keine große Aufregung, alle machten weiter wie bisher.
    “Naja, wenn das stimmt … Kann doch sein”, sagte Herr Lehmann.
    “Und wenn schon, was soll das heißen, die Mauer ist offen.”
    “Was weiß ich.”
    Sie bestellten noch ein Bier. Als sie es halb ausgetrunken hatten, wurde Heiko plötzlich munter.
    “Das sollten wir uns angucken”, sagte er.
    “Laß uns zur Oberbaumbrücke gehen”, sagte Herr Lehmann. Da geht’s doch rüber.”
    “Ja. Nur mal gucken.”
    “Aber erst austrinken”, sagte Herr Lehmann.
    Sie tranken das Bier aus und gingen die Skalitzer Straße hinunter zur Oberbaumbrücke. Viel war nicht los auf der Straße. Wahrscheinlich wieder nur so ein Geschwätz, dachte Herr Lehmann.
    Aber als sie

Weitere Kostenlose Bücher