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Herr Lehmann

Herr Lehmann

Titel: Herr Lehmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sven Regener
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hängt auch von der Familie ab. Und die Sache kann auch angeboren sein, dann hat man einen mehr davon in der Familie, wer will das schon.” Er lachte. “Muß man mal sehen. Die Frage ist doch: Was will er morgen? Will er wieder raus? Sollen wir ihn hier gegen seinen Willen festhalten, weil er gefährlich oder gefährdet ist? Ihn erst einmal mit Medikamenten ruhigstellen und dann langsam aufmachen und mal gucken? Kann man noch nicht sagen.”
    “Und jetzt?”
    Der Arzt stand auf, ging zur Liege und schnallte Karl mit zwei daran hängenden Gurten fest.
    “Jetzt bringe ich Ihren Freund erst einmal auf die Station, da betten die ihn dann um. Wenn Sie wollen, können Sie ihn ja morgen mal besuchen.”
    “Ja klar”, sagte Herr Lehmann.
    Der Arzt nahm die Papiere vom Tisch und legte sie auf Karls Bauch. Dann beugte er sich noch einmal darüber. “Ihre Adresse und Telefonnummer haben wir ja, nicht wahr? Und Sie sagen seinen Eltern Bescheid?”
    “Wenn ich sie finde.”
    “Gut. Übrigens, haben wir heute nicht den Neunten?”
    “Ja.”
    “Na dann: Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag.”
    “Danke”, sagte Herr Lehmann.
    “Können Sie dann mal die Tür aufmachen?”
    Herr Lehmann tat das. Der Arzt schob Karl an ihm vorbei nach draußen. Herr Lehmann ging hinterher und schloß die Tür. Der Arzt schüttelte ihm noch einmal schlaff die Hand.
    “Ich könnte es auch kerniger machen”, sagte er unvermittelt und schaute seine Hand an. “Aber das liegt mir nicht. Die Leute lesen zu viel in den Händedruck hinein.”
    “Gut, daß Sie das sagen”, sagte Herr Lehmann. 
    “Kommen Sie morgen mal vorbei. Station 7.”
    “Okay”, sagte Herr Lehmann, und sie trennten sich. Der Arzt ging zu Station 7, und Herr Lehmann ging seinen Geburtstag feiern.

    Kapitel 20

    PARTY

    Herr Lehmann wollte nicht nach Hause, da erwartete ihn nichts außer ein paar Büchern und einem leeren Bett. Vielleicht sollte ich mir doch mal wieder einen Fernseher anschaffen, dachte er. Er schätzte, daß es etwa acht Uhr abends war. Es ist ein guter Abend, um sich zu besaufen, dachte er. Er hatte frei, was selten genug vorkam, und schon deshalb kam es für ihn überhaupt nicht in Frage, ins Einfall zu gehen, er hatte es sich zum Prinzip gemacht, niemals als Kunde in die Kneipe zu gehen, in der er gerade arbeitete. Das sieht sonst so aus, dachte er immer, als ob man nichts Besseres wüßte oder sonst keine Bekannten hätte. Außerdem wollte er niemanden von der ganzen Bagage sehen, die dort heute nachmittag herumgehangen und ratlos seinen besten Freund angeglotzt hatte. Er wollte auch ihre Fragen nicht hören und keine Erklärungen abgeben und schon gar nicht von ihnen erklärt bekommen, was ihrer Meinung nach mit Karl los war, ihn schauderte bei dem Gedanken an das dumme Geschwätz, das losbrechen würde, wenn er jetzt unter seinen Bekannten auftauchte, die, wenn er ehrlich war, alle mehr oder weniger mit dem Einfall zu tun hatten. Oder mindestens mit Erwin. Es ist alles vorbei, dachte er und merkte erst jetzt, wie sehr ihn das Ende seiner Liebesgeschichte mit Katrin aus der Bahn geworfen hatte.
    Ich hätte mich mehr um Karl kümmern sollen, dachte er, während er langsam vom Urbankrankenhaus am Kanal entlanglief. Aber er hatte die letzten Tage fast völlig verschlafen, das war immer so, wenn er Liebeskummer hatte, sein Schlafbedürfnis wurde dann übergroß, und er ging nur noch aus dem Haus, um zu essen. Ich hätte mich statt dessen um Karl kümmern sollen, dachte er, das wäre besser gewesen, als der blöden Kuh hinterherzutrauern. Aber es hatte einmal so gut ausgesehen, dachte er traurig, es hätte so gut werden können mit ihr, aber vielleicht, dachte er dann, ist das auch bloß Quatsch. Er erinnerte sich daran, wie sie immer versucht hatte, ihn dazu zu bringen, sein Leben zu ändern. Vielleicht habe ich es nicht genug versucht, dachte er, aber wozu eigentlich, dachte er dann. Eigentlich ist es gut so, wie es ist, dachte er, aber ich hätte mich mehr um Karl kümmern müssen. Und ohne Karl macht es keinen Spaß, dachte Herr Lehmann. Zum Beispiel dieser Rudi, dachte er, was soll man mit so einem anfangen? Der ist doch höchstens zwanzig, das ist ja trostlos, dachte er und bemerkte am Planufer den Irish Pub, den er bisher immer übersehen hatte, und er dachte sich, daß er auch gleich hier anfangen könnte, sich zu betrinken.
    Irish Pubs hatte er immer schon furchtbar gefunden, und dieser hier, das sah Herr Lehmann sofort, als er hereinkam,

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