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Herr Lehmann

Herr Lehmann

Titel: Herr Lehmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sven Regener
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an der Oberbaumbrücke waren, kamen da tatsächlich Menschen herüber. Es waren nicht viele. Vielleicht ist der erste Ansturm schon vorbei, dachte Herr Lehmann, es kann doch nicht sein, daß die Mauer offen ist und dann kommen nur so ein paar Leute. Er stellte sich mit Heiko unter die Kreuzberger, die da standen und sich die Sache anschauten. Ganz friedlich und einer nach dem anderen kamen Leute zu Fuß herüber und gingen dann irgendwo hin. Richtige Stimmung ist das nicht, dachte Herr Lehmann.
    “Die kommen da echt einfach rüber”, sagte Heiko verblüfft. “Ist das überall so?” fragte er einen Mann, der neben ihm stand.
    “Mußt mal zu die anderen Übergänge gehen. Das ist doch Kleinkram hier”, sagte der Mann, der auch nicht ganz nüchtern war. “Das ist doch Pipifax hier mit die Fußgänger.”
    Herr Lehmann beobachtete die Leute aus dem Osten. Sie wirkten etwas unsicher und sahen sich aufmerksam um.
    “Das sieht hier ja aus wie bei uns”, hörte er eine Frau sagen.
    “Das ist doch Pipifax hier mit die Fußgänger”, sagte der andere Mann wieder. “Ich geh wieder zum Moritzplatz, da ist wenigstens was los.”
    “Komische Sache”, sagte Heiko.
    “Laß uns mal zum Moritzplatz gehen”, schlug Herr Lehmann vor.
    “Ach Scheiße, das ist mir jetzt zu weit.”
    “Ich geb ein Taxi aus.”
    “Ich weiß nicht, das ist doch Scheiße.”
    “Heiko, echt mal. Nur mal eben gucken.”
    “Jetzt findest du eh kein Taxi.”
    “Klar finde ich jetzt ein Taxi.”
    Sie gingen zum Schlesischen Tor. Herr Lehmann hatte Glück. Es kam sofort ein Taxi, und es hielt auf Herrn Lehmanns Winken hin auch an.
    “Seid ihr aus dem Osten?” fragte der Taxifahrer, als sie einstiegen.
    “Klar”, sagte Heiko und grinste. “Mann, ist das irre hier im Westen.”
    “Wo wollt ihr denn hin?”
    “Übergang Heinrich-Heine-Straße”, sagte Heiko. “Da sind meine Verwandten, die wollen mit dem Auto rüber.”
    Herr Lehmann schwieg. Er wunderte sich plötzlich über Heiko, so hatte er ihn noch nie gesehen.
    “Habt ihr denn Westgeld?”
    “Na logo.”
    “Na dann …” Der Taxifahrer fuhr los.
    “Wie isses denn so im Westen für euch?”
    “Na irre. Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll.”
    “Sag ich doch. Und wieso habt ihr Westgeld?”
    “Von Oma.”
    “Ach so.”
    Ganz bis zum Moritzplatz kamen sie gar nicht mehr, die Straßen waren zu verstopft.
    “Laß uns hier mal aussteigen, Herr Lehmann”, sagte Heiko. “Das wird uns sonst zu teuer”, sagte er zum Taxifahrer, “wir müssen uns das Westgeld gut einteilen.”
    “Kann ich mir vorstellen.”
    “Gib mal Westgeld, Herr Lehmann. Hier, stimmt so.”
    “Na, ich bedanke mich. Warum ist denn dein Kollege so still?”
    “Der ist in der Partei, für den ist heute Trauer.”
    “Na, das hab ich gern.”
    “Ist kein schlechter Kerl.
    Am Moritzplatz hatte Herr Lehmann jubelnde Massen erwartet, aber dafür war es wohl schon zu spät. Es gab nur eine unendliche Autolawine, die sich aus dem Osten kommend in den Kreisverkehr ergoß und dann in alle Richtungen verteilte. Es war ein Riesenlärm, und es stank höllisch nach Abgasen.
    “Ach du Scheiße”, sagte Heiko. “Ach du Scheiße.”
    “Wo wollen die bloß alle hin?”
    “Kudamm wahrscheinlich.”
    “Wieso Kudamm?”
    “Wohin denn sonst …”
    Sie standen eine Weile da und schauten sich das an. Dann wurde ihnen langweilig.
    “Mir reicht’s”, sagte Heiko, “ich hau ab. Ich geh mal nach Schöneberg.”
    “Was willst du denn in Schöneberg?”
    “Mal gucken, was jetzt in der schwulen Sub so los ist. Da brennt jetzt die Hütte, da kannst du Gift drauf nehmen. Außerdem kann es ja sein, daß ich ein paar Kumpel von früher treffe.” Er grinste und zwinkerte Herrn Lehmann zu. “Sieht ein bißchen nach Party aus.”
    “Ich werde mal sehen, daß ich noch irgendwo einen nehme”, sagte Herr Lehmann.
    “Mach das mal. Und laß den Kopf nicht so hängen, wegen dreißig und so. Ich weiß, wovon ich spreche. Ich bin schon 36.”
    “Glaube ich nicht.”
    “Naja, Erwin habe ich erzählt, ich sei 28”, sagte Heiko. “Der hätte mich doch nie genommen, wenn er gewußt hätte, wie alt ich bin. Aber Erwin ist nicht der Typ, der nach dem Ausweis fragt. Obwohl … eigentlich schon. Mach’s gut, Herr Lehmann, ich muß mal eben dem Ruf meiner schwulen Natur folgen.”
    “Wie willst du denn jetzt nach Schöneberg kommen?”
    “Als Ostler wird man heute abend von jedem mitgenommen.”
    Heiko ging an die

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