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Herr Lehmann

Herr Lehmann

Titel: Herr Lehmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sven Regener
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war auch ganz schrecklich. So kann man das nicht machen, das ist ja alles verlogener Scheiß, dachte Herr Lehmann, während er sich im Inneren des Pubs orientierte, dieses ganze dunkle Holz, diese Vertäfelungen, das ist doch alles kitschiger Unsinn, dachte er und setzte sich an einen Tisch, auf dem eine Kerze in einer Flasche stand. Und dann so eine düstere Grotte, dachte er, nachdem er sich einen halben Liter Guinness bestellt hatte, das ist ja wie in den 70er Jahren, und er erinnerte sich an die Kneipen seiner Jugend in Bremen, das Storyville und andere, wo es in der Regel so dunkel gewesen war, daß man die Hand am Ende des Arms schon nicht mehr sehen konnte, und wo man nur in der Nähe einer Kerze, und es waren nicht überall Kerzen gewesen, sein Gegenüber noch hatte erkennen können.
    Naja, dachte Herr Lehmann gnädig, nachdem er sein Guinness bekommen hatte, das aber nicht als halber Liter, sondern nur als Nullvier ausgeschenkt wurde, und nachdem er einen guten Schluck davon genommen hatte, irgendwie hat das natürlich auch was. Ist ja am Ende egal, wie es irgendwo aussieht, dachte er und erfreute sich ein bißchen an den Dubliners, die hier aus dem Lautsprecher kamen, er konnte sogar ein bißchen davon mitsummen, sie machten ihn auf eine angenehme Weise sentimental, sein großer Bruder hatte immer die Dubliners gehört, als er 15 war oder so, davon will er heute sicher nichts mehr wissen, dachte Herr Lehmann, oder vielleicht gerade wieder, dachte er. Vielleicht sollte ich ihn mal besuchen, dachte Herr Lehmann, schließlich habe ich ein bißchen Geld gespart, obwohl, dachte er, es ist mehr als ein bißchen, es dürfte ziemlich viel sein. Oder nach Bali, dachte er, mit oder ohne Heidi, das könnte lustig werden mit all den Vogelspinnen und Tropenkrankheiten, dachte er und bestellte sich ein zweites Guinness. Dann aber weiter, ermahnte er sich, wenn man sich alleine besäuft, muß man in Bewegung bleiben. Als das zweite Guinness kam, zahlte er es gleich und rauchte, während er es austrank, ein paar Zigaretten dazu, dadurch ging es schneller.
    Draußen war er dann wieder etwas ratlos. Sollte er in 6l weitermachen oder doch lieber nach 36 hinübergehen? In 36 bestand die Gefahr, einen von Erwins Deppen, wie er sie jetzt in Gedanken nannte, zu treffen und über Karl reden zu müssen. In 6l bestand die Gefahr, daß er beim Saufen vor Langeweile einschlief. Dann schon lieber 36, dachte er und überquerte den Landwehrkanal am Kottbusser Damm. Dahinter nahm er die Mariannenstraße bis hinauf zum Heinrichplatz, wo es ein paar Kneipen gab, in denen er schon lange nicht mehr gewesen war.
    Wenn ich schon im Irish Pub war, dann kann ich auch gleich in die Rote Harfe gehen, dachte Herr Lehmann, als er auf dem Heinrichplatz stand und eine Wahl treffen mußte. Das ist genau so ein auf alt gemachter Scheiß. Oder vielleicht ist die Rote Harfe auch wirklich alt, wer weiß, dachte er. Das Publikum war es jedenfalls. Herr Lehmann trat ein und sah gleich, daß er hier noch einer der jüngsten war. Das ist dann auch nicht so gut, dachte er, außerdem hatten sie nur Bier vom Faß, Herr Lehmann ließ sich einen halben Liter geben, und diesmal gab es wirklich einen richtigen halben Liter. Das ist selten geworden, dachte er, denn komischerweise hat sich irgendwann die Sache mit dem Nullvier durchgesetzt, sie haben beim Bier etwas geschafft, dachte er, was ihnen beim Kaffee nie gelungen ist, und er erinnerte sich an die große Niederlage der Kaffeeindustrie damals, an die Plakate, auf denen es geheißen hatte: Wir geben Ihnen Ihr Pfund wieder. Nun gut, dachte er, auch hier gibt es das Pfund Bier wieder, und der halbe Liter lag denn auch schwer in seiner Hand, das muß runter, dachte er, obwohl er natürlich durch und durch Flaschenbiermann war und nach zwei Dritteln des halben Liters automatisch ein neues Bier bestellen wollte, einfach aus dem Gefühl heraus. Das war das Blödeste, was sie machen konnten, dachte er, als sie die Halbliterflaschen Beck’s auf den Markt brachten, das war wirklich das Dämlichste von allem, die waren zuerst im Blockschock aufgetaucht, und Karl und er hatten es gar nicht glauben wollen, als sie die Dinger zum ersten Mal in der Hand gehalten hatten. Ach Karl, dachte er und zahlte.
    Dann stand er auf und ging nach nebenan in den Elefanten, dort war es heller und schäbiger, es sah nicht ganz so nach Kreuzberger Nächte sind lang aus, das gefiel ihm gleich besser. Es ist besser, wenn es heller ist, dachte er

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