Herr Lehmann
Raumschiff geentert, seitdem hatte sich einiges getan. Er schaute zur Seite, wo Katrin und Karl saßen, und beobachtete Katrin, die gebannt auf die Leinwand starrte und dabei salzige Popcorn aß, und er liebte sie in diesem Moment so sehr, daß es ihn ganz und gar ratlos machte. Er rutschte in dem durchgesessenen Kinosessel herum, um seine steifen Glieder zu entspannen und fragte sich, wie lange er sie wohl noch so anschauen konnte, ohne daß sie etwas merkte. Und wie lange das hier noch so weitergehen sollte, fragte er sich auch, das wird dauern, dachte er, denn dies war die lange Star-Wars-Filmnacht im Minoa-Kino, es wurden alle drei Star-Wars-Filme hintereinander gezeigt, es war der Kern des romantischen Abends, den sein bester Freund Karl organisiert hatte, und wenn er sich richtig erinnerte, und es ärgerte ihn, daß er sich richtig erinnerte, handelte es sich beim Kampf um den Todesstern erst um das Finale des ersten Films.
Ich hätte mich nicht darauf einlassen sollen, dachte Herr Lehmann, in solchen Dingen darf man Karl keine freie Hand geben. Und das hatte er getan, zermürbt durch vier lange Wochen, in denen er vergeblich gehofft hatte, Katrin, der schönen Köchin aus der Markthallenkneipe, irgendwie näher zu kommen. Er hatte kaum etwas unversucht gelassen, er wußte jetzt viel mehr über sie, zum Beispiel, daß sie 27 Jahre alt war, daß sie nach Berlin gekommen war, um Industriedesign an der HdK zu studieren, und daß sie hoffte, im nächsten Jahr ihre Bewerbungsmappe so weit hinzukriegen, daß es mit der Aufnahme klappte. Er kannte ihre Lebensgeschichte und die ihrer Eltern, er wußte viel mehr über Achim als je zuvor, sie hatten miteinander geredet und gelacht, vor allem aber auf jene wunderbare Weise miteinander gestritten, wie nur sie beide es konnten, aber es war nichts passiert, was die Sache wirklich vorangebracht hätte. Keine zufälligen Berührungen, die mehr als nur zufällig oder freundschaftlich waren, kein Kuß zum Abschied, der sich etwas länger hätte hinziehen und zu etwas Größerem hätte entwickeln können, keine vertraulichen Worte, keine kleinen Geheimnisse und vor allem keine Verabredungen zu zweit. Es war endgültig Herbst geworden, und ein unverfänglicher, unter dem Vorwand der Entspannung, Abwechslung und Stadterkundung unternommener Ausflug an den Wannsee oder den Tegeler See oder zu einer Bootsfahrt auf dem Landwehrkanal kam nicht mehr in Frage, und sie ins Kino einzuladen, hatte Herr Lehmann einfach nicht geschafft. Eine Kino-Einladung”, hatte er seinem besten Freund Karl erklären müssen, “
ist harter Stoff, dafür ist es noch zu früh.” Karl hatte ihm immer wieder angeboten, sich immer wieder aufgedrängt, die Sache in die Hand zu nehmen und einen romantischen Abend zu organisieren, zu dritt, damit es nicht so auffiel. “Ich mach das für dich”, hatte Karl gesagt, du bist blockiert, wir brauchen alle mal Hilfe, man kann nicht immer alles alleine stemmen. Und diese Frau schon gar nicht”, hatte er schulterklopfend hinzugefügt. “Kultur,” hatte Karl gesagt, “Kultur und Romantik, das ist das einzige, was im Herbst funktioniert”, und in seiner Not hatte Herr Lehmann schließlich zugestimmt.
Ich organisier das für dich”, hatte Karl versprochen, und organisiert hatte er, das mußte man zugeben.
Zuerst waren sie auf einem reichlich früh angesetzten Konzert von Markos und Klaus’ neuer Band gewesen, denn “Musik”, hatte sein bester Freund Karl gesagt, “öffnet die Herzen. So einen Freitagabend, den muß man ausnutzen”, hatte er gesagt, “erst Musik, dann Kino, so soll es sein”. Die Sache mit der langen Star-Wars-Filmnacht war dann wohl Katrins Idee gewesen, die Star-Wars-Filme wollte sie immer schon mal alle an einem Stück sehen, hatte sie Karl gesagt, und daß sie Science-Fiction-Fan der ersten Stunde sei, was Herrn Lehmann um so mehr faszinierte, als es das letzte war, womit er bei ihr gerechnet hatte. Und da waren sie nun, und Luke Skywalker bekam gerade vom eigentlich toten und dennoch nicht aus der Handlung verschwindenwollenden Obi Wan eingeflüstert, daß es an der Zeit war, der Macht zu vertrauen. Luke Skywalker schob daraufhin das Zielgerät weg und machte es auf die altmodische Art, und Herr Lehmann wußte, und er haßte sich dafür, daß er das wußte, daß das die Art war, die zum Erfolg führen würde. Hauptsache Kultur, hatte Karl gesagt, der Rest geht von alleine. Auch Karl, dachte Herr Lehmann, vertraut der Macht. Katrin,
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