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Herr Lehmann

Herr Lehmann

Titel: Herr Lehmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sven Regener
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meine Nummer.”
    Sie nahm einen Bierdeckel und schrieb eine lange Telefonnummer auf. Das ist Nummer in Polen”, sagte sie, da bin ich oft. Mußt du nur anrufen ” ” und Elzbietta sagen.”
    Herr Lehmann war irgendwie verwundert, daß man einfach so in Polen anrufen konnte. Schließlich lag es hinter dem eisernen Vorhang und all das, was ihn wieder daran erinnerte, daß er seine Ostverwandtschaft noch anrufen mußte. “Braucht man da kein Visum?” fragte er.
    “Visum ist kein Problem”, sagte sie, lächelte und sah ihm wieder direkt in die Augen. Sie stand auch sehr nah an ihm dran, und Herr Lehmann glaubte, ihr Haar riechen zu können. “Ist nicht so schlimm wie DDR.”
    “Na dann”, sagte Herr Lehmann, der nicht wußte, worüber er sich sonst noch mit ihr unterhalten könnte. “Mal sehen.”
    Sie legte ihm einen Finger auf die Brust. “Solltest du machen. Siehst müde aus. Polen ist nicht weit.”
    §Nein”, gab Herr Lehmann zu und wurde sich plötzlich bewußt, noch nie über Polen nachgedacht zu haben, “weit ist das nicht.”
    “Mußt auch mal ein bißchen was anderes machen”, sagte sie und sah ihn wieder so seltsam an. Herrn Lehmann wurde ein bißchen flau um den Magen herum.
    Plötzlich stand Erwin bei ihnen. “Herr Lehmann, hilf mal dem Karl, der baut da nur Scheiße”, sagte er.
    “Wieso?”
    “Keine Ahnung, wieso. Kerle, Kerle, ich mach mir langsam echt Sorgen.”
    “Du mußt mal Urlaub machen”, sagte die Polin zu ihm. “Siehst müde aus.”
    Herr Lehmann ließ die beiden allein und schaute nach Karl. Der putzte seelenruhig die Kaffeemaschine, während hinter seinem Rücken die Meute nach Getränken rief.
    “Was ist los mit dir, Karl?” fragte er. “Warum putzt du die Kaffeemaschine. Das kannst du doch später noch machen.”
    “Die ist total verspackt”, sagte Karl, ohne auch nur aufzusehen. “Ich mach die mal eben fertig.” Er wienerte an der Maschine herum, als ob gleich die Kaffeemaschinenkontrolle käme. Herr Lehmann hatte keine Lust, mit ihm zu streiten, und kümmerte sich um die Leute. Das ging aber auch nicht, denn es war kein Beck’s mehr da.
    “Karl, wir brauchen Bier.”
    “Ich muß das hier eben fertig machen. Habt ihr die denn die letzten Jahre nie geputzt?”
    Herr Lehmann faßte es nicht.
    “Bier, Karl, wir brauchen Bier.”
    “Ja, ja”, sagte sein bester Freund und putzte immer weiter.
    Das ist, dachte Herr Lehmann, während er sich schnell eine Zigarette anzündete, wie wenn lauter blutende Verletzte herumliegen, aber die Rettungssanitäter waschen lieber ihren Wagen. Das ist, dachte er, während er die Treppe zum Keller hinunterstürmte, wie wenn einer eine Bank überfällt, aber die Polizisten bürsten lieber ihre Uniformen. Das ist, dachte er, während er mit einem Kasten Bier in jeder Hand die Treppe hinaufpolterte, wie wenn ein Schiff sinkt, aber die Mannschaft reinigt gerade das Deck.
    Oben angekommen, verkaufte er das Bier direkt aus dem Kasten an die Leute weiter, auch wenn einige Klugscheißer sich natürlich gleich darüber beschwerten, daß es nicht richtig kalt sei. “Bier will nicht kalt sein, Bier will getrunken sein”, hielt er ihnen den alten Ruf aus jenen Tagen entgegen, als er und Karl noch im Schrot und Korn gearbeitet hatten, wo Erwin auf den Luxus von Kühlschränken und dergleichen von vornherein verzichtet hatte. Das heiterte ihn zwar ein wenig auf, aber er war trotzdem sehr beunruhigt. Karl putzte immer noch manisch an der Kaffeemaschine herum und machte mit seinem dicken Hintern die Räume eng. Früher war es immer Karl gewesen, der sich um den Nachschub kümmerte, das hatte ihm immer gelegen, und das Bier hätte schon vor langer Zeit nachgefüllt sein müssen, aber Karl hatte sich wohl den ganzen Abend überhaupt nicht darum gekümmert, obwohl er dauernd in den Keller gelaufen war und Quatsch geholt hatte. Das war wirklich beunruhigend, sehr beunruhigend. Es läuft nicht mehr rund mit uns beiden, dachte Herr Lehmann, und dieser Gedanke machte ihn traurig. Wir waren ein gutes Team, dachte er, aber das war einmal, wir waren mal ein perfektes Team, dachte er, so wie Bonnie und Clyde, wie Dick und Doof, wie Simon und Garfunkel, wie Sacco und Vancetti oder, dachte er, und mußte sich eingestehen, daß dies der Wahrheit am nächsten kam, wie Bud Spencer und Terence Hill. Es ist Scheiße, 30 Jahre alt zu werden, ging es ihm durch den Kopf, man beginnt, eine Vergangenheit zu haben, eine gute alte Zeit und den ganzen Scheiß.
    Er

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