Herr Lehmann
Grund hatte, sich zu drücken.
“Ich muß arbeiten”, sagte er erleichtert, hob sie kurz hoch, drehte sich einmal mit ihr um seine Achse und stellte sie dann wieder hin. “Das muß reichen”, sagte er, “ich muß wirklich wieder arbeiten.”
“Na gut”, sagte sie lächelnd, dann eben nicht.” Sie schien es nicht allzu schwer zu nehmen. Das beruhigte Herrn Lehmann, der ordentlich ranklotzen mußte, denn Karl war schon wieder verschwunden.
Die Polen kriegten viel Beifall und spielten noch ein Stück und dann noch eins, und damit begannen sie Herrn Lehmann, der sowieso leicht gereizt war, weil Karl verschwunden blieb, langsam auf die Nerven zu gehen. Vielen Gästen ging es wohl ähnlich, die Sache verlor ein wenig ihren Reiz, die meisten konzentrierten sich wieder auf das Wesentliche und verlangten nach Bier. Als Herr Lehmann Karl endlich entdeckte, tanzte der gerade mit Katrin. Es sah seltsam aus, er hielt sie einfach mit einem Arm fest an sich gedrückt, hob sie ein bißchen an, bis ihre Füße nicht mehr den Boden berührten, ruderte mit dem anderen Arm dazu in der Luft herum und torkelte so mit ihr durch die Leute. Das ist meine Technik, dachte Herr Lehmann ärgerlich, nur etwas verfeinert. Er kann es auch nicht, dachte er, aber er macht es trotzdem, und das beeindruckte ihn, man kann immer noch einiges von ihm lernen, dachte er. Als die Polen zu spielen aufhörten, stellte Karl sie wieder ab, und sie lachten beide und klopften sich auf den Rücken. Herrn Lehmann gefiel das nicht. Aber als sein bester Freund Karl wieder hinter den Tresen kam, ließ er sich nichts anmerken. Karl prostete ihm mit einem neuen Bier zu.
“Ganz schön schwer, deine Kleine”, sagte er augenzwinkernd. “Du mußt stärker sein, als ich immer dachte.”
Herr Lehmann sah ihm prüfend ins Gesicht. So redete er normalerweise nicht. Was sollen diese Schlüpfrigkeiten, dachte er, aber es war nichts Böses oder Hinterhältiges oder überhaupt irgend etwas im Gesicht seines besten Freundes zu entdecken, das einzig Seltsame war, daß er mit dem Grinsen und dem Zwinkern nicht mehr aufhörte. Außerdem schwitzte er wie ein Schwein und atmete schwer.
“Schon klar”, sagte Herr Lehmann. “Aber sag lieber nicht, daß sie meine Kleine ist, jedenfalls nicht, wenn sie das hören kann. Ich glaube, das kann sie nicht so gut ab, und dann fällt das auf mich zurück.”
“Ich schweige wie ein Grab”, sagte sein bester Freund pathetisch und legte zwei Finger an seine Lippen. “Versiegelt.”
Herr Lehmann wußte wirklich nicht, was der Scheiß sollte. “Sag mal, Karl, “hast du irgendwie eine Krise oder so? Ich meine, ist irgendwas?”
“Was soll sein?” fragte sein bester Freund noch immer grinsend. “Ist alles bestens.” Und dann lachte er seltsam, irgendwie verklemmt, fand Herr Lehmann, und sein Ärger kehrte sich um in leichte Besorgnis. Er ist übermüdet, dachte er, und körperlich nicht auf dem Damm. Es ist wahrscheinlich nicht sein Tag.
In diesem Moment kam die blonde Frau, die mit einem Hut herumging, zu ihm und fragte nach Geld für die Musik. Herr Lehmann gab ihr zehn Mark aus der Kasse, und sie fragte ihn, ob er nicht auch mal Ferien in Polen machen wollte. Er schüttelte lächelnd den Kopf und sagte ihr, daß er schon seit Jahren keine Ferien mehr gemacht hatte. “Ich bin nicht der Typ für Ferien”, fügte er hinzu.
“Jeder ist Typ für Ferien”, sagte sie und schaute ihm dabei seltsam direkt in die Augen. “Du mußt dich auch mal ausruhen. Siehst müde aus.” Sie lächelte ihn an und holte eine Ringmappe hervor. “Kannst du mieten, sind verschiedene Häuser, ist alles möglich.” Sie schlug die Mappe auf, und Herr Lehmann besah sich einige Fotos von Häusern auf Wiesen und an Waldrändern, die auf Karton geklebt darin abgeheftet waren.
“Schön”, sagte er, weil er nicht wußte, was er sonst sagen sollte. Außerdem hatte er ja beschlossen, ab jetzt den Dingen etwas offener gegenüberzustehen, und er dachte, er könnte jetzt gleich mal damit anfangen. Er bot der Frau eine Zigarette an, aber sie lehnte ab.
“Ich hab selbst, sind besser”, sagte sie und nahm eine von ihren. “Sind schöne Häuser, schöne Landschaft, kannst du mal Ferien machen, mit Freunden, mit deiner Freundin.”
“Naja”, sagte Herr Lehmann, “jetzt ist Herbst, das ist nicht gerade die Zeit, um Urlaub zu machen. Ich meine, scheiß Wetter und so.”
“Im Winter ist wunderschön”, sagte sie. “Schöner Schnee. Ich gebe dir mal
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