Herr Lehmann
ging gleich wieder in den Keller, um noch mehr Bier zu holen. Als er wieder hochkam, hatte Karl damit begonnen, Gläser zu polieren, immerhin, aber Unsinn war auch das. Herr Lehmann fand genug Zeit, die Flaschen in die Kühlung zu tun, die meisten Leute hatten jetzt ihr Bier, wenn auch warmes, und die Kneipe begann sich auch schon wieder zu leeren, der Zenit war für das Einfall für heute nacht überschritten, die Leute zogen weiter in irgendwelche anderen Kneipen und in Clubs und Discos und was wußte Herr Lehmann was. Übrig blieben die zwanzig oder dreißig Mann, für die es keine anderen Kneipen, Clubs oder Discos gab. Auch die Polen waren noch da, sie saßen an einem Tisch zusammen und entspannten sich, während die blonde Frau damit beschäftigt war, Erwin und Katrin von den Vorzügen eines Urlaubs in ihrer Heimat zu überzeugen. Und jetzt kam auch noch Kristall-Rainer durch die Tür. Herr Lehmann stellte ihm nur eine Flasche und ein Glas hin. Sollte er sich doch selber einschenken. Sich selbst gönnte er noch ein warmes Bier.
“Wie geht’s denn so?” fragte Kristall-Rainer und schenkte, das mußte Herr Lehmann ihm lassen, das Weizenbier gekonnt ein.
Herr Lehmann hätte ihn am liebsten gefragt, was ihn das anginge, statt dessen sagte er: “Alles klar” und half seinem besten Freund beim Gläserpolieren, was zwar Schwachsinn war, aber immer noch besser, als von KristallRainer in ein Gespräch verwickelt zu werden.
“Worum geht’s da?” wollte Karl wissen und wies mit dem Kopf zur Polin und Katrin und Erwin hinüber, zu denen sich nun auch Kristall-Rainer gesellte, und die sich alle zusammen über die Fotos beugten.
“Die vermietet Häuser, Ferienhäuser”, sagte Herr Lehmann. In Polen.”
“Polen ist gut”, sagte Karl ernst.
“Wieso ist Polen gut?”
Karl dachte kurz nach und grinste dann. “Keine Ahnung.”
“ Wieso sagst du dann, daß Polen gut ist?”
“Was weiß ich. Warum nicht?”
“Wenn man sagt, daß etwas gut ist, dann hat man doch einen Grund dafür.”
“Was ist denn los mit dir, Alter? Seit wann bist du so genau?”
“Ich bin nicht genau”, sagte Herr Lehmann, ohne zu wissen, warum er das Thema nicht fallenließ. “Ich will einfach bloß wissen, warum Polen gut ist. Ich meine, wenn man sagt, daß Polen gut ist, dann muß man doch einen Grund dafür haben.”
“Frank!” Sein bester Freund Karl stellte das Glas ab, das er gerade polierte. “Jetzt mach dich mal locker. Ich hab das nur so gesagt.”
“Ja, aber warum?”
“Frank”, sagte sein bester Freund Karl und schüttelte bedächtig den Kopf.
“Manchmal mache ich mir echt Sorgen um dich.”
“Das ist gut”, sagte Herr Lehmann. “Das ist gut. Ich weiß nicht, ob Polen gut ist, aber das ist gut. Du machst dir Sorgen um mich!”
“Einer muß es ja tun”, sagte sein bester Freund Karl und streichelte ihm mit der Hand über den Kopf. “Aber mal davon abgesehen: Es macht Spaß, wieder mit dir zu arbeiten.”
Ja”, sagte Herr Lehmann. Spaß macht das.”
Kapitel 15
HAUPTSTADT
Die Tür fiel ins Schloß und Herr Lehmann war allein. Ihm war klar, daß es für ihn in diesem Moment nicht gerade gut aussah, tatsächlich sah es eher schlecht aus. Ich habe, dachte Herr Lehmann, ins Klo gegriffen, mit beiden Armen, dachte er, ganz tief. Er hätte gerne eine geraucht, aber er wußte nicht, ob das erlaubt war, es sah nicht danach aus, es gab zum Beispiel weit und breit, sofern man bei diesem kleinen, kahlen Raum, in dem sich nichts befand als ein Tisch, zwei Stühle und eine Neonröhre, überhaupt von weit und breit reden konnte, keinen Aschenbecher. Und Herr Lehmann ging stark davon aus, daß es besser war, die Leute hier nicht zu reizen. Es gab auch keine Fenster, und die Tür hatte innen keine Klinke.
So ist das also, dachte Herr Lehmann und versuchte sich zu erinnern, wie es so weit hatte kommen können. Erst war ja alles ganz normal gelaufen, sie hatten seinen Berliner Personalausweis akzeptiert, seinen Mehrfachberechtigungsschein für gut befunden, und sie hatten sein Geld getauscht. Katrin war Gott sei dank an einer anderen Stelle durch die Kontrolle gegangen, sie hatte nur einen westdeutschen Reisepaß, was ihr die Sache mit der Mehrfachberechtigung erspart hatte, andererseits aber Visumgebühren nach sich zog oder so, Herr Lehmann war sich da nicht ganz sicher, aber das ist nun auch ziemlich scheißegal, dachte er. Sie stand jetzt wahrscheinlich oben in Ostberlin und wartete auf ihn, während er
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