Herr Lehmann
mußte.
In der Unterhaltung zwischen Erwin und Karl schien es auch um nichts gegangen zu sein, jedenfalls um nichts Böses, denn beide waren sehr gut drauf, als sie wieder herunterkamen. Karl ging gleich wieder an die Arbeit und Herr Lehmann konnte es sich nicht verkneifen, ihn zu fragen, was er und Erwin eigentlich immer zu besprechen hatten.
“Oh … !” sagte Karl grinsend und machte sich schnell ein Bier auf. “Du wirst es nicht glauben, aber Erwin ist unter die Kunstkäufer gegangen. Er will was von mir kaufen, für seinen neuen Laden in Charlottenburg.”
Das, dachte Herr Lehmann, ist komisch formuliert. Früher hätte Karl das anders gesagt, dachte er, früher hätte er gesagt: Der Blödmann will was von mir kaufen. Was, dachte Herr Lehmann, soll das Gerede von ‘du wirst es nicht glauben’ und ‘Kunstkäufer’, warum redet er so komisch, dachte Herr Lehmann, aber er sagte nur: Sieht so aus, als sei Charlottenburg deine Bestimmung.”
“Sieht so aus, sieht so aus.”
Herr Lehmann hätte gerne mit Katrin über Karl geredet, vielleicht wußte sie irgend etwas, was ihm entgangen war, bei Frauen ist das ja manchmal so, dachte er, aber sie war irgendwo im Gewühl verschwunden. Er sah sie später weiter hinten stehen und sich mit Klaus und Marko unterhalten, und nach der Beharrlichkeit zu schließen, mit der die beiden auf sie einredeten, hatte sie sich mit ihnen auf ein Gespräch über Musik eingelassen. Sie lebt sich schnell ein, dachte er, sie kommt mit allen gut klar, sie ist offener als ich, dachte er, für sie ist das alles neu und aufregend, und natürlich, dachte er, hat sie recht damit. Er erinnerte sich daran, wie es für ihn gewesen war, als er neu nach Berlin gekommen war, das war lange her, damals war er erst
21 gewesen, jetzt wurde er bald dreißig, und er nahm sich vor, selber wieder ein bißchen offener und positiver zu werden. Man vergreist ja sonst, dachte er und gönnte sich ein Bier.
Dann kamen die Polen. Sie waren zu fünft, und alles, was Herr Lehmann zuerst von ihnen sah, war der Hals eines riesigen Kontrabasses, der sich wie von selbst ins Gedränge zu schieben schien. Dann war eine hübsche, blonde Frau bei ihm und fragte mit schwerem Akzent, ob sie ein bißchen Musik spielen dürften. Herrn Lehmann war es recht und er machte die Krachmusik aus, woraufhin das allgemeine Geschrei gleich erheblich abebbte. Dann rückte die Masse an einer Stelle etwas auseinander und die Musiker - es waren vier, ein Kontrabaß-, ein Akkordeon- und zwei Gitarrenspieler - begannen zu spielen. Es war eine eigenartige Musik, die sie spielten, irgendwie folkloristisch, und Herr Lehmann dachte darüber nach, ob das vielleicht Polkamusik war und ob das Wort Polka was mit Polen zu tun hatte. So oder so waren es sehr ungewohnte Klänge für das Einfall, aber das störte keinen, im Gegenteil, die Leute schienen die Abwechslung zu begrüßen, sie redeten weniger und einige nickten sogar mit dem Kopf im Takt. Das hat was, wenn man einfach so Musik spielen kann, dachte Herr Lehmann, das macht sicher Spaß. Plötzlich
war Katrin neben ihm, hakte ihn unter und lächelte ihn an.
“Vielleicht sollten wir tanzen”, sagte sie.
“Nein”, wehrte Herr Lehmann ab, “nein, das geht nicht. Ich hab vom Tanzen überhaupt keine Ahnung.” Der Gedanke, vor all den Leuten zu tanzen, ließ ihn erschaudern.
“Na, komm schon”, sagte sie.
Herr Lehmann kämpfte mit sich einen schweren inneren Kampf. Er wünschte sich schon, jetzt in der Lage zu sein, so einen Quatsch zu bringen, aber er hatte nicht den Hauch einer Ahnung, wie das gehen sollte.
Ich kann das nicht, wirklich nicht, ich bin der absolute Flop, was Tanzen betrifft”, sagte er und fügte nach einer kurzen Bedenkzeit hinzu: “Tut mir leid. Ich weiß, das ist traurig und enttäuschend und so, ich will ja auch keine Spaßbremse sein, aber es ist nun mal leider so.”
“Na komm schon”, sagte sie und umfaßte seine Hüfte. “Ist doch ganz einfach, nur so ein bißchen hin und her.”
Herr Lehmann hätte schon gewollt, aber er konnte nicht. Schon allein die Hüften zu schwenken, war ihm nicht gegeben, und dazu noch mit den Füßen oder den Beinen oder was auch immer etwas anzustellen, und zwar gleichzeitig und vor allen Leuten, war jenseits alles Denkbaren. Glücklicherweise wedelten einige Leute auf der anderen Seite des Tresens mit Händen und Geldscheinen und taten auch sonst alles mögliche, um seine Aufmerksamkeit zu erregen, so daß er einen guten
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