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Herr Lehmann

Herr Lehmann

Titel: Herr Lehmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sven Regener
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peinlich war. Sie kennt mich kaum, dachte er, und erzählt mir solche Sachen. Die Frau, die Christine hieß, goß sich derweil einen Brandy ein. Was, dachte Herr Lehmann, haben diese Kneipenbesitzer bloß immer mit den braunen Schnäpsen.
    “Wobei das schon zu viel gesagt ist”, fuhr sie fort und nippte an ihrem Glas. “Seine Luftmatratze zu sein, würde wenigstens bedeuten, daß er sich ab und zu mal auf mich drauf legt. Damit ist aber in letzter Zeit auch nicht mehr viel los.”
    “Ja nun”, sagte Herr Lehmann hilflos. “Hast du denn das Gefühl, daß er sich in letzter Zeit irgendwie verändert hat? Irgendwie abdreht?”
    “Ist mir nicht besonders aufgefallen. Kann schon sein, daß das so ist. Das ist dann aber euer Problem. Bei mir ist das egal. Willst du ihn mal sehen? Dann weißt du, was ich meine.”
    “Ja.”
    Die Frau sagte ihrer Kollegin Bescheid und ging mit ihm hinaus und um die Ecke wieder in dasselbe Haus hinein. So wie es aussah, hatte sie die Wohnung direkt über der Kneipe. Die Leute, die Kneipen haben, dachte Herr Lehmann mal wieder, haben nie das Problem, eine Wohnung finden zu müssen. Sie schloß umständlich auf, fummelte mit den Schlüsseln, bückte sich tief zum Schloß hinunter und führte den Schlüssel vorsichtig ein, so als ob irgend etwas davon abhinge, daß man es auf eine bestimmte Weise tut. Als sie in den Flur der Wohnung kamen, hörte Herr Lehmann ihn schon schnarchen.
    “Guck dir das Elend ruhig mal an”, sagte die Frau, “dann weißt du, worum es geht, wenn er hier herkommt.”
    Herr Lehmann folgte ihr durch den langen Flur in ein Wohnzimmer, in dem ein großes Sofa stand, auf dem Karl lag und schlief. Er lag in einer eigenartig verdrehten Stellung, halb auf der Seite, seine Beine hingen vom Sofa herunter auf den Fußboden, das T-Shirt war ihm hochgerutscht und entblößte seinen großen Bauch, der wie ein praller Sack zur Seite hing. Er schnarchte, daß die Wände wackelten, und im Zimmer roch es nach Alkohol, Achselschweiß, alten Socken und Zigaretten.
    “Alles klar?”
    “Alles klar.” Herr Lehmann merkte, daß er Christine auch nicht mochte. Genau so wenig wie Romy Schneider. 
    “Kannst du ihm sagen, daß er sich mal bei mir melden soll, wenn er aufwacht?”
    “Wenn er aufwacht, haut er wahrscheinlich gleich wieder ab”, sagte sie.
    “Das ist meistens so. Ich weiß überhaupt nicht, warum ich ihn überhaupt noch reinlasse.”
    “Ja”, sagte Herr Lehmann, das ist schwer zu verstehen.”
    “Wie meinst du das?”
    “Naja, nur so …”
    “Ich tu mir das nicht mehr an”, sagte sie. Karl legte derweil beim Schnarchen noch eine Schaufel drauf. “Wenn du ihn sprichst, bevor ich ihn spreche, dann kannst du ihm ja sagen, daß er gar nicht mehr wiederzukommen braucht.”
    “Okay.”
    “Ich hab die Schnauze voll.”
    “Okay.” Herr Lehmann ging zum Ausgang. Sie kam hinter ihm her.
    “Das kannst du ihm sagen. Nie wieder. Das kann er sich schenken. Das wird gar kein Problem für ihn sein. Der wird dann nicht mal mehr anrufen.”
    “Wie lange kennt ihr euch schon?”
    “Du meinst, wie lange wir zusammen sind? Wie lange wir schon ficken, oder was?”
    “Naja, irgend so was.”
    “Ha!” Sie holte ihn ein, öffnete vor ihm die Tür und hielt sie ihm auf. “Zwei Jahre. Zwei Jahre für nichts.”
    “Was soll ich sagen …”
    “Du sollst gar nichts sagen.”
    “Nein, tu ich auch nicht.”
    “Am liebsten wäre es mir, wenn du ihn gleich mitnehmen würdest”, sagte sie.
    Herr Lehmann blieb unschlüssig stehen. Er war schon draußen, sie stand in der Tür und blickte ihn an. “Vielleicht sollte ich das tun”, sagte er.
    “Den kriegst du jetzt nicht wach”, sagte sie. Das habe ich schon oft versucht.”
    “Dann nicht”, sagte Herr Lehmann. “Tragen kann ich ihn nicht.”
    “Nein”, sagte sie und lächelte freudlos. “Den kann man nicht tragen.”
    “Mach’s gut”, sagte Herr Lehmann und ging. Sie blieb in ihrer Wohnungstür stehen und sah ihm nach wie einem alten Bekannten, der sich nach all den Jahren mal wieder gemeldet hatte und auch leider schon wieder gehen mußte.

    Kapitel 17

    ÜBERRASCHUNG

    Als Herr Lehmann Christines Haus verließ, war es nach seiner Schätzung erst halb sechs, und er hatte überhaupt keine Lust, Erwin vorzeitig aus seinem Elend zu erlösen. Ich hätte mich vorhin einfach hinlegen sollen, dachte er, ich hätte niemals ans Telefon gehen dürfen, dann würde ich jetzt schlafen, so wie Karl. Nun war es dafür zu spät.

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