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Herr Lehmann

Herr Lehmann

Titel: Herr Lehmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sven Regener
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Goldenen Anker sah, nur der Goldene Anker nicht. Wahrscheinlich bloß deshalb nicht, weil der Goldene Anker drinnen immer so düster ist, dachte Herr Lehmann jetzt, daß es keine weißen Gardinen braucht, um die Blicke der Welt fernzuhalten. Also mußte er in den Goldenen Anker hinein. Nachdem sich seine Augen an das Dunkel im Inneren gewöhnt hatten, sah er nur ein paar verlorene Gestalten, Rentner und andere Müßiggänger, die über den großen Raum verteilt herumsaßen und in Schultheißflaschen starrten, die hier für nur zwei Mark über den Tresen gingen, eine Form des Dumpings, die nur durch des Goldenen Ankers unendliche Trostlosigkeit akzeptabel war, wie Herr Lehmann fand. Karl war nicht da, und Herr Lehmann war auch nicht in der Stimmung, die dicke Frau hinter dem Tresen nach ihm zu fragen. Das war hier nicht seine Welt, und außerdem hätte er dann pro forma ein Schultheiß trinken müssen, und das, dachte Herr Lehmann, würde zu weit gehen.
    Also ging er weiter und arbeitete sich die Schlesische Straße hinunter vor bis zum Schlesischen Tor, überprüfte das griechische Restaurant, in dem Karl manchmal riesige Portionen Gyros in sich hineinschaufelte, den Italiener daneben und eine Autonomen-Kneipe, deren Namen er nicht kannte und auch nicht kennen wollte. Dann ging er am Schlesischen Tor in die Klausur, einen gruftigen Laden mit roten Plüschvorhängen, den er ganz gerne mochte, und sprach dort mit der Nachmittagsbedienung, einem Mädchen namens Sabine, aber die kannte Karl kaum und hatte ihn auch nicht gesehen, und weil das alles ja doch nichts brachte, ging er schließlich ohne weitere Umwege in die Markthalle und sprach dort mit Heidi. Die bestätigte das, was Erwin erzählt hatte.
    “Aber was war denn los, was sollte das denn?” fragte Herr Lehmann, nachdem sie ihm einen Kaffee und einen Ouzo gegeben hatte, etwas, was Herr Lehmann sonst nie bestellte, schon weil es Schnaps war, aber dies war ein außergewöhnlicher Tag, und das griechische Restaurant hatte ihn irgendwie an die Möglichkeit erinnert, Ouzo zu trinken. “Wie kam er denn auf so einen Scheiß?”
    “Ich weiß es nicht. Der war ganz komisch drauf, das war ganz schrecklich”, sagte sie und setzte sich auf den Hocker, den sie sich immer hinter den Tresen stellte. “Das war, wie wenn man den gar nicht kennt. Wolltest du heute nicht mit Katrin im Osten sein?” wechselte sie plötzlich das Thema.
    “Bin schon wieder da”, sagte Herr Lehmann. “Weißt du vielleicht, wo er hingegangen sein könnte?”
    “Keine Ahnung. Was läuft eigentlich so mit dir und Katrin?”
    Herr Lehmann sah ihr prüfend ins Gesicht. “Wieso?” ”
    “Seid ihr jetzt zusammen?”
    “Hast du das Katrin auch schon gefragt?”
    “Ach die …” Heidi machte eine wegwerfende Handbewegung. “Die redet doch kaum mit mir. Also ich weiß nicht …”
    “Ich auch nicht”, sagte Herr Lehmann. “Ich muß mal eben telefonieren.”
    Er ging zum Klo und rief bei Katrin an. Es nahm niemand ab. Er sagte auf ihren Anrufbeantworter, was im Osten passiert war, daß mit ihm alles in Ordnung sei, und daß er hoffe, bei ihr sei das genauso, und dann ging er zurück an den Tresen. Heidi saß versonnen auf ihrem Hocker und starrte durch das gegenüberliegende Fenster in den trüben Tag hinaus.
    “Ich fahre diesen Winter weg”, sagte sie an ihm vorbei in den Raum hinein. “Das tu ich mir nicht mehr an. Nach Bau.”
    “Allein?”
    “Nee, mit zwei anderen Leuten. Ist nicht teuer, wenn man erst mal da ist. Die nehmen mich mit, die haben einen Vertrieb für Bali-Klamotten, die sind da dauernd. Vielleicht kann ich auch für die arbeiten, mal sehen.”
    Das ist sicher eine gute Sache”, sagte Herr Lehmann, “Bali und so.”
    “Ja. Ich habe keinen Bock mehr auf den Winter hier, ehrlich. Das schafft mich jedesmal.”
    “Ja klar”, sagte Herr Lehmann. “Aber wegen Karl: Hast du irgendeine Ahnung, wo der jetzt sein könnte?”
    “Nein. Bei dem blicke ich schon lange nicht mehr durch.”
    “Kommt er dir denn schon länger irgendwie komisch vor? Erwin meint, der dreht ab oder so.”
    “Ach Erwin. Erwin redet auch viel, wenn der Tag lang ist. Karl ist halt Karl. Aber so wie heute, das war schon komisch. Und wie er dann Erwin eine gelangt hat …”
    “Mit der Faust?”
    “Nein, das war so ‘ne richtige Ohrfeige, das hat richtig geklatscht.”
    “Was hat er denn plötzlich gegen Erwin?”
    “Ich habe keine Ahnung, wirklich. Das war ziemlich wirr, was er da so geredet

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