Herr Lehmann
hat. Außerdem war er ja auch so besoffen, und gestunken hat der …”
“Hm …”
“Ich glaube aber, Karl hat eine Freundin irgendwo. Ich weiß nicht, wie die heißt, aber die hat eine Kneipe in 6l.”
Herr Lehmann erinnerte sich an den Abend, an dem sie alle zusammen ins Savoy gegangen waren, und an die Frau, die Karl über den Kopf gestreichelt hatte. Da hätte ich auch gleich drauf kommen können, dachte er. Er trank den Ouzo und schüttelte sich.
“Seit wann trinkst du denn so was?” fragte Heidi.
“War nur so ‘ne Idee gewesen.” Herr Lehmann schüttete den Rest seinesKaffees dem Ouzo hinterher und stand auf.
“Schreibst du das auf?”
“Das geht nicht mehr”, sagte Heidi.
“Wieso geht das nicht mehr?”
“Erwin hat gesagt, auch die Leute, die für ihn arbeiten, sollen ihren Kram jetzt immer gleich bezahlen. Er kann uns nicht immer alle mit durchfüttern, hat er gesagt. Umsonst gibt’s nur noch, wenn man arbeitet.”
“Seit wann das denn?”
“Hat er vorhin gemeint. Nachdem Karl weg war. Da hat Erwin erst einmal die Zettel von den Leuten durchgeguckt. Deinen auch.”
“Was soll denn der Scheiß jetzt?”
Heidi zuckte mit den Schultern.
“Ich kann nichts dafür. Mußt du Erwin fragen. Ich weiß aber was!” sagte sie lächelnd.
“Was denn?”
“Ich schreib’s einfach nicht auf. So einfach ist das.”
“Du bist in Ordnung, Heidi.”
“Schön, daß du das mal merkst.”
“Habe ich immer gewußt.”
“Um so schöner, daß du’s mal sagst.”
“Ich geh jetzt mal Karl suchen, okay?”
“Klar. Was ist eigentlich jetzt mit dir und Katrin?”
“Schwer zu sagen.”
“Ich glaube, die ist nichts für dich.”
“Um so schöner, daß du’s mal sagst.”
“Jetzt hau mal ab und such Karl.”
Bis zum Savoy war es ein langer Fußmarsch, aber mit der U-Bahn war es noch blöder und Taxi fuhr Herr Lehmann nicht gern. Außerdem war es nicht unwahrscheinlich, daß Karl irgendwo in den Straßen herumstrolchte und Herr Lehmann ihn irgendwo aufgabelte, wenn er zu Fuß unterwegs war. Er ging über den Lausitzer Platz, den Spreewaldplatz, die Ohlauer Straße und dann hinter dem Kanal schräg rechts durch ein Stückchen Neukölln bis zum Kottbusser Damm, den überquerte er und ging in die Schönleinstraße, wo er, da er schon einmal hier war, noch schnell das Schlawinchen überprüfte, allerdings ohne Erfolg, und das war auch besser so, denn wenn er schon im Schlawinchen ist, dachte Herr Lehmann, dann steht es ganz schlecht um ihn. Danach mußte er nur noch die Dieffenbachstraße ganz runter bis zur Grimmstraße, und dort an der Ecke war das Savoy.
Der lange Spaziergang tat ihm gut, er gab ihm viel Zeit zum Nachdenken, und je mehr er über alles nachdachte, desto weniger gefiel es ihm. Es ist nicht mehr wie früher, dachte er, es ist nicht mehr in Ordnung, es ist in allem der Wurm drin, dachte er, aber er fand es schwer, die Sache auf den Punkt zu bringen. Daß es nicht so wie früher ist, ist kein gutes Argument, hielt er sich selbst vor, so reden Leute, die bald dreißig werden, das ist Quatsch, es kommt nicht darauf an, daß es wie früher ist, dachte er, es kommt darauf an, daß es gut ist. Aber es ist der Wurm drin, dachte er, und das Rätsel um Karl schien ihm symptomatisch für die ganze Sache zu sein, was immer die ganze Sache war. Irgendwas funktioniert nicht mehr, dachte er, wie soll Karl da noch funktionieren, aber dann verwarf er diesen Gedanken gleich wieder als zu billig, so einfach sollte man es sich nicht machen, dachte er. Daraufhin versuchte er, wenigstens die verschiedenen Punkte zusammenzubringen, an denen es überall hakte, um so eine Erklärung für sein allgemein schlechtes Gefühl zu haben. So viele Dinge liefen schief in letzter Zeit, und er war sich nicht sicher, ob die Geschichte mit Katrin, so wie sie sich entwickelte, ein Lichtblick war, der den anderen Kram vergessen machen konnte. Alles ist halb, dachte er, die Prügeleien, Detlev, Luke Skywalker, der Scheiß von Erwin, Kristall-Rainer, die Kunst von Karl, die Ausstellung in Charlottenburg, das geplante Design-Studium von Katrin, die Hauptstadt der DDR, die auf seinen Besuch verzichtete, seine Arbeit im Einfall, das Publikum dort, da ist irgendwie das Feuer raus, dachte er und grübelte den Rest des Weges darüber nach, ob tatsächlich alles anders war oder ob es ihm nur so erschien, weil er selbst sich verändert hatte. Wieso aber, dachte er, sollte ich mich verändert haben, ich wollte mich ja gar
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