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Herr Lehmann

Herr Lehmann

Titel: Herr Lehmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sven Regener
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schon gar nicht durch Neukölln, es sind die schlechten Vibes von Neukölln, dachte er, die Schwallen auf einen ein, während man durch die Bürknerstraße läuft, da kommt man übel drauf. Dann kam sein Essen auf einem ovalen Blechteller und alles war gut, selbst daß es hier kein Bier gab, störte ihn nicht wirklich.
    Er hatte alles aufgegessen und sich gerade noch einen Tee geholt, als Katrin und Kristall-Rainer hereinkamen. Sie sahen ihn nicht und hielten sich an den Händen, während sie mit dem Rücken zu ihm an der Theke standen und ihr Essen auswählten, und dann machte Kristall-Rainer auch noch zu allem Überfluß seine Hand los und streichelte, mehr unten als oben, über ihren Rücken, so als ob er es nur für ihn, Herrn Lehmann täte, als ob Herr Lehmann besonders begriffstutzig wäre, und sie ließ das nicht nur geschehen, sie schien es, soweit Herr Lehmann das von hinten beurteilen konnte, auch noch zu mögen.
    Herr Lehmann wollte nicht glauben, was er sah. Er saß, mit dem Rücken an der Wand, das Teeglas in der Hand, einfach nur da und starrte sie an, und er wollte es nicht glauben. Und er dachte erst einmal nichts. Und als er wieder etwas dachte, dachte er: Mein Gott, was müssen die blind sein, die müssen mich doch sehen, wenn sie hereinkommen, ich sitze doch nicht hinter einem Wandschirm oder so, hier ist es doch taghell, dachte er, dies ist doch nicht der Goldene Anker, und dann wurde ihm klar, daß das nun wirklich nicht das Problem war, das ist Kristall-Rainer, dachte er dann, den hält man nicht an den Händen, dem schiebt man ein Weizenbier rüber, so einfach ist das, ohne Zitrone und fertig, aber damit wurde es auch nicht besser.
    Es kam ihm ewig vor, wie sie dort standen und mit dem total bescheuerten Türken, der sichtlich von ihnen angetan war, über sein bescheuertes Essen redeten. Dann bekam jeder von ihnen ein Getränk, Katrin eine Cola und Kristall-Rainer eine Fanta. Eine Fanta, dachte Herr Lehmann, das geht nicht, so geht das nicht, Kristall-Rainer kann doch nicht einfach eine Fanta trinken. Das brachte ihn auf den Gedanken, daß vielleicht alles gar nicht wahr sei, aber dieser schöne Gedanke hielt nicht lange vor. Ich muß irgendwie die Initiative ergreifen, dachte Herr Lehmann schließlich, sie ansprechen, auf dem falschen Fuß erwischen und so weiter, dachte er, aber dann dachte er wieder: falsch, ganz falsch, so geht das nicht, man kann überhaupt nichts machen, man kann gar nichts tun, was nicht falsch wäre, dachte er und wünschte sich, es gäbe einen Hinterausgang in diesem Scheißladen, aber, dachte er, die haben ja nicht einmal ein Klo, die dürfen überhaupt keine Stühle und Tische aufstellen, wenn sie kein Klo haben, dachte er, wenn man kein Klo hat, dann sind nur Hocker und Stehtische erlaubt, man sollte sie bei der Gewerbeaufsicht anscheißen, dachte er, und dann kämpfte er kurz mit den Tränen, es war ein langer Tag, dachte er, da kann man schon mal labil werden, aber das geht natürlich nicht, dachte Herr Lehmann, das wäre ja wohl das Letzte, wenn sie sich jetzt umdrehen und mich heulen sehen, vor allern Kristall-Rainer, dachte er und kämpfte die Tränen nieder, aber er hatte trotzdem keinen Plan, was er tun sollte, wenn sie sich umdrehten, und irgendwann, dachte Herr Lehmann, werden sie sich umdrehen, er spielte zwar mit dem Gedanken, sie dann seinerseits zu ignorieren und irgendwo anders hinzugucken, konsequent die Koransuren an den Wänden zu studieren zum Beispiel, aber, dachte er dann, das ist ja noch lächerlicher als zu heulen, und so blieb ihm nichts anderes übrig, als sich nichts anmerken zu lassen, mit zittrigen Fingern sein Teeglas an den Mund zu halten und zu warten, bis sie sich umdrehten.
    Und das taten sie schließlich. Nachdem sie lange anbiedernd, wenn nicht gar belästigend, wie Herr Lehmann fand, mit dem völlig deutschunkundigen Türken herumgealbert hatten, drehten sie sich beide zugleich und beide mit ihren albernen Getränkedosen in der Hand um und sahen ihn an, es blieb ihnen jetzt auch gar nichts anderes übrig, er saß ja direkt gegenüber, mit dem Rücken zur Wand, und es war sonst keiner da. Herr Lehmann hob die Hand zu einem Gruß. Sie erstarrten und die Fröhlichkeit wich aus ihren Gesichtern, wenigstens glaubte Herr Lehmann das so zu sehen. Katrin hob ebenfalls die Hand, die mit der Coladose drin, es sah aus, als wollte sie ihm zuprosten, die dumme Kuh, dachte er, und sie versuchte ein Lächeln, das gründlich mißlang. Dann sagte

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