Herr Lehmann
nicht verändern, dachte er, und dann war er in Gedanken wieder bei Karl, der sich auf jeden Fall irgendwie verändert hatte, der in letzter Zeit etwas seltsam war und neulich auch so bitter, was gar nicht zu ihm paßte, denn Karl war immer die sichere Bank gewesen, auf die man sich verlassen konnte, wo Karl war, war der Spaß gewesen, und Spaß hatten sie immer gehabt, und solange man den Spaß hat, dachte Herr Lehmann, ist alles gut. Vielleicht ist es umgekehrt, dachte er, vielleicht ist es nicht so, daß Karl nicht mehr funktioniert, weil alles andere nicht mehr funktioniert, sondern daß alles andere nicht mehr funktioniert, weil Karl nicht mehr funktioniert, aber auch diesen Gedanken verwarf er als zu billig, so einfach ist das nicht, dachte er, so läuft das nicht.
Als er im Savoy ankam, war er nicht viel klüger als zuvor, aber wenigstens wußte er jetzt, daß alles nicht stimmte, daß es nicht nur ein bißchen Kleinkram war oder eine Anhäufung unglücklicher Zufälle, die ihn so nervten, und das beruhigte ihn irgendwie. Wenn alles nicht stimmt, dachte er, als er das Savoy betrat, dann hat man mehr Möglichkeiten.
Hinter dem Tresen stand eine Frau, und Herr Lehmann glaubte sich zu erinnern, daß sie es war, die Karl neulich über den Kopf gestreichelt hatte. Jetzt, bei Tageslicht, sah sie älter aus, als Herr Lehmann damals gedacht hatte, er schätzte sie auf 35 oder 40, und er erinnerte sich, daß Karl immer schon eine Schwäche für Frauen gehabt hatte, die älter waren als er selbst. Nimm nie die jungen Dinger”, hatte er einmal zu Herrn Lehmann gesagt, “
mit denen hast du nur Ärger. Die wollen dauernd ihr Leben ändern und dann “
paßt du da plötzlich nicht mehr rein”, hatte er gesagt. Karl hat seine ganz eigenen Weisheiten, dachte Herr Lehmann. Er setzte sich der Frau gegenüber und bestellte erst einmal ein Bier, das hatte er sich jetzt verdient. Sie hatten nur Bier vom Faß. Naja, dachte Herr Lehmann, die Zapferei hält sie jedenfalls für einige Zeit hier fest.
“Weißt du, wo Karl ist”, fragte er schließlich, während sie an dem Bier arbeitete. Die Frage kostete ihn einige Überwindung, er sprach nicht gern mit Leuten, die er nicht kannte, auch nicht über Dinge, die sie vielleicht gemeinsam haben könnten.
“Oh ja”, sagte sie und lächelte bitter, wie Herr Lehmann fand. “Du bist Herr Lehmann?”
“Ja. Woher weißt du das?”
“Ihr wart doch vor ein paar Wochen mal hier. Und er redet in letzter Zeit viel von dir. Sicher mehr als von mir. Ich bin Christine. Hat er dir mal was von mir erzählt?”
“Sicher”, log Herr Lehmann.
“Wundert mich”, sagte sie. Er ist nicht der Typ, der von mir erzählt.”
“Wieso”, sagte Herr Lehmann, “wir waren doch letztens erst hier.”
“Na und? Habe ich etwa mit am Tisch gesessen?”
“Nein. Warum nicht?”
“Gute Frage.”
Herr Lehmann mochte diese Unterhaltung nicht. Sie aber schien schon lange darauf gewartet zu haben. Herr Lehmann musterte sie verstohlen, während sie weitersprach. Sie sah nett aus. Und irgendwie traurig. Sie hatte etwas Tragisches um die Augen, fand Herr Lehmann, darin erinnerte sie ihn an Romy Schneider, aber im Gegensatz zu Romy Schneider mochte er sie. Romy Schneider konnte er nicht ausstehen, außer in den Sissy-Filmen, aber das hätte er nie zugegeben.
“Für Karl gibt es die eine Welt und die andere Welt”, sagte sie. “Du bist in der einen Welt, ich bin in der anderen Welt. Und er achtet fein säuberlich darauf, daß sich diese beiden Welten nicht berühren. Die Frage ist bloß: Welche von beiden Welten ist für ihn die richtige?”
“Welche?” fragte Herr Lehmann, um irgendwie am Ball zu bleiben.
“Eure Welt natürlich”, sagte sie. “Ich habe darüber viel nachgedacht. Wenn er zu mir sagt: Du bist die Einzige, dann meint er das als Kompliment, und er meint es auch ehrlich. Das Problem ist nur …”, sie wollte das Bier vor Herrn Lehmann hinstellen, aber er nahm es ihr gleich aus der Hand, “… daß sich das nur auf unsere Welt bezieht. Das ist das Bittere daran. Es bedeutet nämlich, daß es in unserer Welt nur uns beide gibt. Und das ist für ihn nicht sehr spannend. Deshalb erzählt er mir von dir, aber dir nicht von mir.”
“Ach so.”
“Er kommt auch nur hierher, wenn er bei euch nicht mehr weiterweiß. Wenn er sich ausruhen muß. Ich bin praktisch seine Luftmatratze.”
“Nun, nun”, sagte Herr Lehmann, dem das jetzt ein bißchen zu weit ging und auch ein bißchen
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